Als Bundespräsident Horst Köhler in diesem Sommer in Rumänien weilte, kritisierte er in Bukarest ausdrücklich die schleppenden Reformen im Justizwesen und mahnte eine „wirksame Korruptionsbekämpfung auf allen Ebenen“ an. Trotz der verharmlosenden Bilanz des am 27. Juni veröffentlichten letzten EU-Zwischenberichts haben Politiker wie Köhler mittlerweile offenbar eine Ahnung von den Gefahren balkanischer Einflüsse bekommen, wie sie seit dem EU-Beitritt Rumäniens am 1. Januar 2007 in verstärktem Maße in die Union einfließen. Die skandalöse Entlassung der reformfreudigen rumänischen Justizministerin Monica Macovei, der Machtkampf des von ewiggestrigen Kräften durchsetzten Parlaments und der Regierung mit Präsident Traian Bãsescu oder die fortwährende Aufschiebung des Bestechungsprozesses gegen den früheren Ministerpräsidenten Adrian Nãstase sprechen eine deutliche Sprache. Das Land zwischen Mitteleuropa und Balkan genießt hierzulande nicht gerade einen guten Ruf. Man verbindet es mit Armut und hat dabei die Fernsehbilder aus rumänischen Waisenhäusern vor Augen oder die sogenannten „rumänischen Diebesbanden“, die in Deutschland ihr Unwesen treiben. Rumänien war von Anfang an alles andere als ein unproblematischer Beitrittskandidat. Das hatten sogar die Europaparlamentarier erkannt, als sie am 13. April 2005 in Straßburg mit breiter Mehrheit, aber unter Bedenken den Weg freimachten. Übergeordnete politisch-ideologische Gründe wogen schwerer als alle sachorientierten Vorbehalte. Zwar verzeichnet die rumänische Wirtschaft seit Jahren ein Wachstum von über fünf Prozent, eine Arbeitslosenrate von nur etwa sieben Prozent und eine auf unter zehn Prozent gedrosselte Inflationsrate, doch das weithin agrarische Land zählt noch immer zu den ärmsten Staaten des Kontinents. Der Netto-Durchschnittslohn liegt bei 180 Euro, das reale Brutto-Inlandsprodukt pro Kopf bei 30 Prozent des EU-Durchschnitts. Viele Bürger Rumäniens beklagen im Gefolge des Beitritts einen weiteren Anstieg des Preisniveaus, das sich etwa bei Heizöl, Gas, Benzin oder Kleidungsstücken nur unwesentlich von deutschen Verhältnissen unterscheidet. Offensichtliche Mängel gibt es auch in bezug auf die Umweltpolitik und die instabile Parteienlandschaft. Die alten KP- und Securitate-Seilschaften funktionieren immer noch erschreckend gut – sowohl in den Parteien als auch in der Wirtschaft und in den Medien. Rumänien als erster „Zigeunerstaat“ Europas? Das schwerwiegendste Problem des EU-Neulings Rumänien spielt in der hiesigen Diskussion bezeichnenderweise kaum eine Rolle: die Roma-Frage. Die Zahl der Angehörigen dieser Volksgruppe in dem 22-Millionen-Einwohner-Land schwankt zwischen 500.000 und 1, 7 Millionen (genaue Angaben gibt es nicht, da sich die weitaus meisten Zigeuner bei Volkszählungen als Rumänen deklarieren). Durch ihr – grundsätzlich löbliches – Festhalten an ihrer gänzlich anders gearteten Kultur gefährden sie den Aufbau eines nach unseren Maßstäben funktionierenden Staatswesens. Während Rumänien insgesamt eine sehr niedrige Geburtenrate von 1,3 Kindern pro Frau aufweist, wächst ihre Zahl rapide. Letztlich könnte Rumänien zum ersten „Zigeunerstaat“ Europas werden. Was diese Sachlage vor dem Hintergrund der in der EU bestehenden Freizügigkeit bedeutet, ist im einzelnen schwer abzuschätzen. Mit Sicherheit wird sie aber ihren Teil dazu beitragen, daß der Prozeß der Desintegration und Destabilisierung der europäischen Staatengemeinschaft noch schneller voranschreitet. Für erhebliche Unruhe im Zusammenhang mit möglichen Migrationsströmen sorgte die Bukarester Regierung bereits eine Woche nach dem EU-Beitritt des Landes, als bekannt wurde, daß das Anrecht auf eine rumänische Staatsangehörigkeit – und damit die ungehinderte Einreise und Arbeitstätigkeit in der Europäischen Union – per Dekret großzügig ausgeweitet werden soll. Hiervon würden vor allem die Millionen zählenden Auslandsrumänen in den Anrainerstaaten Ukraine, Moldawien und Serbien profitieren. In den Jahrzehnten kommunistischer Herrschaft war ihnen ihre einstige rumänische Staatsangehörigkeit zumeist rechtswidrig aberkannt worden. Bukarester Diplomaten verweisen auf eine ähnliche Praxis der polnischen Regierung gegenüber den eigenen Minderheiten im Osten. Doch all diesen Problemen zum Trotz: Rumänien hat der EU und insbesondere Deutschland auch eine Menge zu bieten. Wer das Land bereist hat, der weiß, daß es mit der lieblichen mitteleuropäischen Kulturlandschaft des vom Karpatenbogen eingeschlossenen Siebenbürgens, mit der urwüchsigen Moldau oder dem Donaudelta zu den reizvollsten Staaten des Kontinents gehört. Rumänien zeichnet sich durch eine vergleichsweise gute Minderheitenpolitik aus, und das gesellschaftliche Klima ist ausgesprochen deutschfreundlich. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens ungefähr 900.000 Deutsche. Die meisten von ihnen waren im Banat beheimatet (im gesamten, die kleineren serbischen und ungarischen Landesteile einschließenden Banat siedelten 1910 knapp 390.000 Deutsche und stellten 24,5 Prozent der Bevölkerung) sowie in Siebenbürgen (rund 235.000, was einem regionalen Bevölkerungsanteil von 8,5 Prozent entsprach). Dort hatten sich deutsche Siedler bereits ab dem 12. Jahrhundert niedergelassen. Allein in Hermannstadt, dem politischen, kulturellen und religiösen Zentrum der sogenannten Siebenbürger Sachsen, waren es 1901 mehr als 16.000. Im Gefolge des Zweiten Weltkriegs verringerte sich die Zahl der Deutschen, ohne aber die Existenz dieser Minderheiten zu gefährden, die ihre Schulen und Kirchen trotz kommunistischer Herrschaft bewahren konnten. Erst die Entwicklung nach dem Sturz des roten Diktators Nicolae Ceauºescu veränderte alles und mündete in die Massenaussiedlung der Jahre 1990/91. Damals verließen etwa drei von vier Deutschen Rumänien, um im Vaterland der Vorfahren neu anzufangen. 1992 verblieben in ganz Rumänien noch etwa 200.000, größtenteils ältere Deutsche, 1997 dann nur noch rund 60.000, Tendenz sinkend. Wer jedoch angesichts dieses gewaltigen Schwunds die einst überaus starke Präsenz deutscher Kultur und deutscher Menschen in Rumänien für ein Auslaufmodell hielt, sah sich getäuscht. In Siebenbürgen überlebten zwar nur wenige sächsische Dorfgemeinschaften den Massenexodus, doch das höhere Schulwesen konnte fortbestehen. Bildungsanstalten wie das Brukenthal-Lyzeum in Hermannstadt, das Josef-Haltrich-Lyzeum in Schäßburg oder das Honterus-Lyzeum in Kronstadt genossen einen derart guten Ruf, daß sich insbesondere zahlreiche Angehörige der rumänischen Oberschicht dafür entschieden, ihren Kindern eine fundierte Ausbildung in deutscher Unterrichtssprache zukommen zu lassen. Angesichts des sozialen Hintergrunds vieler der neuen Oberschüler eröffnen sich für die ohnehin guten rumänisch-deutschen Kultur- und Wirtschaftsbeziehungen beste Zukunftsaussichten. Anfang Oktober gab es in Siebenbürgen gleich zwei für die verbliebenen Deutschen wegweisende Ereignisse. In dem abgelegenen Dorf Malmkrog bei Schäßburg, in dem die wohl vitalste sächsische Gemeinschaft der ganzen Region überdauert hat, wurde am 1. Oktober nach mehrjährigen Restaurierungsarbeiten der Herrensitz der Adelsfamilie Apáfi eingeweiht. Mit Geldern der in Siebenbürgen seit 1991 segensreich tätigen britischen Mihai-Eminescu-Stiftung verwandelte sich die Ruine des ins 15. Jahrhundert zurückgehenden Baus in ein Gästehaus (Apáfi Manor) mit Bibliothek und Vortragsräumen. Zusammen mit einigen ebenfalls von der Stiftung instandgesetzten alten Sachsenhäusern, die über Ferienwohnungen verfügen, erschließt es dem malerisch gelegenen Ort neue touristische Einnahmequellen. Nur wenige Tage danach, am 6. Oktober, beging die traditionsreiche „Bergschule“ in Schäßburg ihr 400jähriges Bestehen. Lehrer und Schüler des heutigen Joseph-Haltrich-Lyzeums durften sich aus diesem Anlaß über die Vollendung der Renovierungsarbeiten an dem Schulgebäude freuen (Finanzgeber war die Niermann-Stiftung). Ein reiches Natur- und Kulturerbe sind das wichtigste Kapital Siebenbürgens. Die Wirtschaft der Region steht nicht zuletzt dank deutscher Hilfe viel besser da als die der balkanisch geprägten Nachbarn Moldau und Walachei. Deutschland gehörte in den letzten Jahren zu den drei wichtigsten rumänischen Handelspartnern. Ausgesiedelte Siebenbürger Sachsen oder Banater Schwaben spielen zusammen mit den wenigen Rückkehrern eine wichtige Rolle für die weitere Ausgestaltung der Wirtschaftsbeziehungen. Hermannstadt (Sibiu) mauserte sich zum begehrten Standort deutscher Firmen. Siemens oder Thyssen-Krupp haben sich hier niedergelassen, aber auch zahlreiche mittlere wie kleine Unternehmen, deren Gesamtzahl in der Kommune Hermannstadt mittlerweile bei etwa hundert liegt. Es kommt zu interessanten Formen der Zusammenarbeit, etwa wenn sich die Landesbausparkasse Bayern maßgeblich für den Aufbau eines rumänischen Bausparwesens nach deutschem Vorbild einsetzt. Gerade in Hermannstadt hat man in den letzten Jahren das touristische Potential der Stadt und damit verbunden die besonderen Möglichkeiten als Investitionsschwerpunkt deutscher Firmen erkannt. Anders wäre die zweimalige Wahl von Klaus Johannis, dem heutigen Vorsitzenden des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), zum Bürgermeister der 170.000 Einwohner zählenden Kreishauptstadt kaum erklärbar. Schließlich besteht die örtliche deutsche Minderheit nur aus knapp 2.000 Personen. Trotzdem fiel der Zuspruch der Bevölkerung für Johannis bei seiner Wiederwahl im Juni 2004 mit rund 88 Prozent aus. Die Hermannstädter Bevölkerung ist sehr zufrieden mit ihrem deutschen Bürgermeister, der 2008 erneut kandidieren will. Die Erfolge seiner ersten Amtszeit sind unübersehbar: Nirgendwo in Rumänien war das Wirtschaftswachstum größer; gute Straßen entstanden, Parkanlagen, eine moderne Infrastruktur und ein neues Industriegebiet im Westen der Stadt. Im Zentrum wird an der Verschönerung des Ortsbildes gewerkelt. Man ist gemeinsam stolz auf die Geschichte der einstigen Hauptstadt der Siebenbürger Sachsen, in der 1544 das erste Buch in rumänischer Sprache gedruckt wurde. Noch bis Ende 2007 trägt die einstige Sachsenmetropole zusammen mit Luxemburg den Ehrentitel einer europäischen Kulturhauptstadt. Angesichts der großen internationalen Aufmerksamkeit möchten die Stadtoberen nun auch die Anerkennung der Altstadt als Unesco-Weltkulturerbe erreichen. Nachdem es durch ein negatives Gutachten des Internationalen Rates für Denkmalpflege (Icomos) einen Rückschlag für diese Bemühungen gegeben hatte, vertagte das Welterbe-Komitee zu Beginn des Sommers die Entscheidung. Mittelfristig dürfte Hermannstadt aber gute Chancen haben, zusammen mit dem bereits in den Denkmal-Olymp erhobenen Schäßburg auf der Unesco-Liste das sächsische Kulturerbe Siebenbürgens zu vertreten. Stichwort: Siebenbürger Sachsen Die Siebenbürger Sachsen blicken auf eine über 850jährige Geschichte zurück. Schon im 12. Jahrhundert ließen sich deutsche Siedler im Karpatenbogen im heutigen Rumänien nieder. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts stieg ihre Zahl auf rund 240.000. Enteignung, Deportation im Gefolge des Weltkriegs, die Entrechtung durch die Ceausescu-Diktatur sowie die Entwicklungen nach dessen Sturz ließen ihre Anzahl bis 1992 auf ca. 25.000 sinken. Die verbliebenen Siebenbürgen Sachsen leben verstreut in Ortschaften mit meist weniger als 20 evangelischen Gemeindemitgliedern. Fotos: Altstadt von Hermannstadt: Heute ist man gemeinsam stolz auf die Geschichte der einstigen Hauptstadt der Siebenbürger Sachsen, in der 1544 das erste Buch in rumänischer Sprache gedruckt wurde, Rumänische Roma: Leben in improvisierten Hütten vor den Toren der Hauptstadt Bukarest