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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Kontroverse Interpretationen

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Weihnachts-Abo, Weihnachtsbaum, Zeitungen

Das Museum rühmt sich, für fast zwei Drittel der US-Bevölkerung innerhalb einer Autotagesreise erreichbar zu sein. Von Frankfurt aus dauerte es ebensolang mit dem Flugzeug. Cincinnati/Ohio hat etwa 350.000 Einwohner, aber für die Agglomeration mag man wesentlich mehr ansetzen. Es gibt dort ausgewanderte Donauschwaben und jährlich ein Oktoberfest. Und just hier, jenseits des Flusses Ohio nahe dem Flughafen, auf der grünen Wiese des Örtchens Petersburg/Kentucky befindet sich das Schöpfungsmueum (Creation Museum) mit etwa 5.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche, das Ende Mai pünktlich zum Beginn der Touristensaison seine Pforten öffnete. Über Jahre wurden 27 Millionen Dollar Spenden gesammelt, darunter einzelne Großspenden, aber überwiegend kleinere Beträge – nach Auskunft von Mark Looy von der evangelikalen Organisation Answers in Genesis im Durchschnitt etwa 100 Dollar pro Spende. Ferner haben 200 Freiwillige etwa 8.000 Arbeitsstunden eingebracht. Auf der Autobahn reisen wir zu einem (langen) Tagesausflug aus Süden an, über eine Topographie, die stellenweise an die Kasseler Berge erinnert. An einer Ausfahrt hat sich ein „Adult Store“ niedergelassen. Daneben haben Christen ein Edelstahlkreuz in Höhe eines mehrstöckigen Hauses errichtet. Gerne wüßten wir, ob das dem Umsatz des Pornoladens Abbruch getan hat, aber wir haben noch drei Autostunden vor uns. Es ist der sogenannte „Bibelgürtel“, wo man Wegbeschreibungen innerorts am einfachsten anhand der am Wege liegenden Kirchen nachgeht. Das Kreuz neben dem Pornoladen erinnert daran, daß die USA ein Labor für Kulturkämpfe sind. Laut Tocqueville liegt die Stärke Amerikas in den Kirchen. Kenneth Ham, der Präsident von Answers in Genesis und geistige Vater des Schöpfungsmuseums, warnt hingegen vor der inneren Schwäche der Kirchen, denen der Nachwuchs wegzubrechen drohe, weil die Jugend in Schule und Gesellschaft einem säkularen Weltbild ausgesetzt ist, in dem die Bibel keinen verständlichen Sinn mehr ergibt. Sein Museum soll die Glaubwürdigkeit der Bibel verdeutlichen, vom allerersten Vers an. Nach Meinung der Kritiker ist das ein unmögliches Unterfangen und die Bibel ein Buch, das nicht wörtlich zu verstehen ist. Was für Exponate mögen uns im Museum begegnen, um die kreationistischen Thesen zu untermauern? Auf dem Parkplatz finden sich Nummernschilder aus Mississippi und sogar Oregon (drei Tagesreisen per Auto), aber die meisten sind aus den näherliegenden Bundesstaaten. Heckaufkleber weisen gelegentlich auf einen christlich-konservativen Hintergrund der Besucher hin – doch das sind die einzigen Bekenntnisse. Gleich die Eingangsszene muß man erwähnen, weil sie als bewußte Provokation die Aufmerksamkeit vieler lokaler Medien gefunden hat: Kinder spielen an einem Teich in der Gegenwart von Dinosauriern. Wenn Gott die Landtiere und Menschen am sechsten Tag erschaffen hat, können dazwischen keine 65 Millionen Jahre Erdgeschichte liegen. Ein Aufkleber im Museumsladen wird diese Botschaft aufgreifen: „We take back the dinosaurs“, heißt es da (Wir holen uns die Dinosaurier zurück). Unscheinbar daneben eine Voliere, die auch in säkularem Umfeld nicht auffallen würde; darin eine Anzahl bunter Finken. Sind es Darwin-Finken von den Galapagos-Inseln? Wohl nicht, aber die Anspielung liegt nahe. Wir erinnern uns, daß Darwin verschiedene Finkenarten beobachtet hat, die an verschiedene Umweltbedingungen angepaßt waren, und daß er diese Differenzierung mit natürlicher Auslese erklärte. Das Museum erläutert dem Besucher, daß das Wort „Art“ (hebräisch Min) im Bibeltext „ein jedes nach seiner Art“ nicht mit dem biologischen Speziesbegriff gleichzusetzen sei, sondern häufig dem Taxon „Familie“ näherkomme. Die Fähigkeit zur Anpassung an Umweltbedingungen ist in der Variabilität des Genpools bedingt. Kreationisten mögen Darwin nicht, aber mit seinen Finken haben sie kein Problem. Es wird sich später zeigen, daß sie Anpassung durch Selektionsdruck zwanglos in ihre biologischen Modelle für die ersten Jahrhunderte nach der Sintflut eingebaut haben. Aber noch befinden wir uns vor der Kartenkontrolle. Das erste große Exponat hinter dem Einlaß zeigt zwei Paläontologen an einem Knochenfund. Der Kreationist unter den beiden belehrt uns: „Wir sind auf dieselbe Universität gegangen und haben denselben Fossilienbefund, aber wir kommen zu unterschiedlichen Schlußfolgerungen, da wir die Daten aus einer unterschiedlichen Weltsicht interpretieren.“ Den Besucher erwartet eine lineare Tour durchs Museum, er kann verweilen oder eilen, aber nicht abkürzen. Entlang der Tour gibt es einzelne Schleusen, wo alle 15 Minuten ein Kurzfilm gezeigt wird und der Besucher auf den nächsten Einlaß warten muß. Zum Glück sind wir an einem normalen Werktag hier. Der erste Film stellt wie erwartet den biblischen Schöpfungsbericht vor; danach Exponate, die ihn ebenso wie den Sündenfall illustrieren und die heutigen Folgen von Sünde augenfällig machen. Erlauben wir uns eine theologische Rückblende: Historisch-kritisch arbeitende Theologen des 19. Jahrhunderts, insbesondere der Göttinger Alttestamentler Julius Wellhausen (1844-1918), argumentierten, daß im 1. Buch Mose, auch bekannt unter dem griechischen Namen Genesis, Doppelungen wie Kapitel 1 und Kapitel 2+3 sowie unterschiedliche Gottesnamen (Elohim und Jahwe) darauf hindeuteten, daß die Bücher Mose eine Kompilation verschiedener Quellen aus verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Autoren seien. Konservative Theologen lehnen diese Schlußfolgerung ab. Sie verstehen diese Doppelungen beispielsweise als Vorschau und Detailrückblende und unterscheiden die Gottesnamen nach Funktion: Elohim als Bezeichnung für „Gott an sich“, Jahwe als Vertragsname, der verwendet wird, wenn Gott mit dem Menschen einen Bund schließt. Dieser Kontroverse muß sich der deutsche Besucher bewußt sein, da in Deutschland evangelische Theologen in aller Regel nach der historisch-kritischen Methode ausgebildet werden. Sie lernen von zwei Schöpfungsberichten, wo Kreationisten wie auch nichtkreationistische konservative Theologen einen Bericht sehen. Analoges gilt für die Sintfluterzählung. Das Museum thematisiert nicht diese Auseinandersetzung, sondern kontroverse Interpretationen naturwissenschaftlicher Daten, welche den Kern des heutigen Kreationismus in den USA ausmachen. Wir kommen an der Baustelle von Noahs Arche vorbei und stellen nachdrücklich fest, daß dies nicht die Arche aus dem Schul-Religionsbuch ist. Sie hat drei Decks und ist (laut Gen 6,15) 300 Ellen lang, 50 Ellen breit, und 30 Ellen hoch: Bei etwa 50 Zentimetern pro Elle ist das kein Ausflugsboot, sondern ein Ozeandampfer, von dem wir im Museum die volle Höhe, aber nur ein Stück der Länge und Breite sehen. Einzelheiten unterliegen selbstverständlich der künstlerischen Phantasie, soweit sie nicht den biblischen Daten widersprechen. Wir hören Bauarbeiter diskutieren, ihr Chef, der Noah, sei halt so ein religiöser Fanatiker. Und wir sehen Exponate zur Schiffbautechnologie im (griechischen) Altertum, die die künstlerischen Entwurfsdetails motivieren. Auch die Sintflut ist nicht aus dem Religionsbuch. Als Geburtsstunde des modernen Kreationismus in den USA darf das Buch „The Genesis Flood“ von Whitcomb und Morris gelten (1961), und so ist die Sintflut mehr noch als der Schöpfungsbericht Herzstück des Kreationismus. Das Exponat über Flutgeologie ist in doppeltem Wortsinn das explosivste im Museum: Die meisten Kreationisten glauben heute, daß sich die Aussage „… brachen alle Quellen der großen Tiefe auf“ (Gen 7,11 und 8,2) auf plattentektonische und/oder vulkanische Vorgänge (auch) auf dem Meeresboden bezieht, und sehen den heutigen Kontinentaldrift als Resteffekt jener Vorgänge. Der Ausbruch des Mount St. Helens 1981 wurde für sie zum Versuchslabor geologischer und hydrologischer Modelle, um eine alternative Erklärung der Gesteinsschichten als Folge der Sintflut anzubieten. Das Fehlen naturwissenschaftlicher Einzelheiten in Genesis läßt weiten Spielraum für Modelle, das Ziel ist, den heutigen geologischen Befund alternativ auf einer kurzen Zeitskala zu erklären. Es bedürfe, so die Kernbotschaft, keiner Jahrmillionen, um die Schichten etwa des Grand Canyon zu erklären. Um diese Logik zu veranschaulichen, seien hier einige Thesen von Ausstellungsplakaten übersetzt: „Ein Schlüssel: Mount St. Helens. Eine kleine Katastrophe in der Gegenwart hilft uns, eine riesige Katastrophe in der Vergangenheit zu verstehen. Thema Aschenwolke: Eine einzelne Aschenwolke kühlt die Erde um den Bruchteil eines Grades. Ein Miniaturbeispiel für die Erdabkühlung nach der Flut. Thema Lavadom: Ein neuer, 11 Jahre alter Lavadom wird mittels Kalium-Argon-Datierung auf über 350.000 Jahre datiert. Ein Beispiel für die Schwierigkeiten der Radioisotopendatierung. Thema Engineers Canyon und Little Grand Canyon: Schlammlawinen graben Canyons aus weichem Sediment in Stunden: Ein Miniaturbeispiel für schnelle Erosion unmittelbar während und nach der Flut. Thema Pyroklastische Ablagerungen: Ein Fluß heißer Asche lagert 25 Fuß fein geschichtetes Sediment in wenigen Stunden ab. Thema Vertikal treibende Baumstämme: Entwurzelte Bäume treiben aufrecht und sinken so auf den Grund von Spirit Lake. Ein Hinweis, wie versteinerte Wälder und polystrate Fossilien infolge der Flut entstanden sind. Thema Torf aus Rinde: Rinde wird von treibenden Baumstämmen abgerieben und sammelt sich am Boden von Spirit Lake an. Ein Hinweis, wie Kohleschichten infolge der Flut entstanden sind.“ Wir haben einen Tag im Museum verbracht: ein Museum, das für 25 Dollar Eintritt (einschließlich Planetarium) nahezu alles für erwiesen Geglaubte in Frage stellt und alternative Erklärungen propagiert. Für die Animationen zeichnet ein Fachmann von Universal Studios verantwortlich. Die Flutgeologiemodelle wurden von Renegaten der etablierten Wissenschaft entwickelt, die nach Ausbildung an etablierten Universitäten ins kreationistische Lager wechselten und sich nun in spezifisch kreationistischen Organisationen betätigen. Kreationisten bemühen sich inzwischen darum, auch eigene kosmologische Modelle zu entwickeln. Das Museum begnügt sich hier mit vagen Andeutungen. Jedes Museum hat einen Buch- und Souvenirladen, und derjenige des Schöpfungsmuseums ist so umfangreich, daß die Passagiere der Arche selbst ohne Zoopfleger-Aufgaben mit Reiselektüre überversorgt gewesen wären. Es ist paradox, aber auf die rhetorische Frage, ob man denn sonntags in der Kirche über Biologie, Geologie oder Astronomie reden solle, kommt heute gerade von biblisch-fundamentalistischer Seite die Antwort: ja, unbedingt. Und so stehen neben der Bibel jetzt Bücher und Videos über Gesteine und Fossilien, Radioisotopendatierung und Astronomie, und neben dem Laborbericht steht die Bibelkonkordanz. Foto: Dinosaurier als Akt der Schöpfungsgeschichte? Alles für erwiesen Geglaubte wird in Frage gestellt

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