Herr Professor van Creveld, der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde El Baradei sprach am Sonntag von „Gewalt als letztem Mittel“ im Atomstreit mit Teheran. Am Montag äußerte der republikanische US-Senator John McCain, schlimmer als ein Angriff der USA sei ein „mit Atombomben bewaffneter Iran“. Und der Londoner Iran-Experte Ali Asari sagt bereits „US-Militärschläge in den nächsten sechs bis 18 Monaten“ voraus. Creveld: Ich finde solche Spekulationen nicht sehr seriös. Diese Frage hängt von zu vielen Variablen ab. Mir persönlich scheint die ganze Aufregung recht übertrieben. Es ist seit sechzig Jahren jedesmal das gleiche Lied. Was meinen Sie? Creveld: Die USA spielen eine Art Hase und Igel. Sie propagieren per Atomwaffensperrvertrag die friedliche Nutzung der Kernenergie, meinen damit aber de facto die Aufrechterhaltung ihres Vorsprung bei der militärischen Nutzung. Kaum hatten die USA sich nach dem Zweiten Weltkrieg nuklear bewaffnet, haben sie versucht, die Tür zuzumachen. Seitdem warnen Sie, ebenfalls durch diese Tür zu gehen sei nicht zu verantworten, wenn nicht gar eine große Schurkerei. So war es bei Rußland, so war es bei China … So war es jedoch nicht bei Israel. Creveld: Stimmt und stimmt nicht. Es trifft zu, daß die USA im Fall Großbritannien, Frankreich und Israel nicht in vergleichbarer Weise protestiert haben. Aber auch die atomare Bewaffnung dieser Länder haben sie mit Mißmut begleitet. Und was Israel angeht: Präsident Kennedy hat ernsthaft versucht, eine israelische Atombombe zu verhindern, er stellte deshalb sogar zeitweise die amerikanische Sicherheitsgarantie für Israel in Frage. Erst unter seinem Nachfolger Johnson ab 1963, der unter dem Druck des Vietnamkrieges stand und anders als Kennedy politisch von der jüdischen Lobby abhängig war, haben Washington und Tel Aviv ein Gentleman’s Agreement getroffen, unsere 1967 entwickelte Bombe einfach totzuschweigen. „Wer würde sich anders verhalten, wenn er an der Stelle Irans wäre?“ Lieber redet man über die Bombe des Iran. Creveld: Natürlich, denn Washington fühlt sich von israelischen Atomwaffen nicht bedroht. Der Grund, warum man protestieren müßte, ist einzig und allein, daß der Atomwaffensperrvertrag, der die Grundlage für das bisherige Vorgehen gegen die Atomprogramme anderer Länder darstellt, die Pflicht zur aktiven Eindämmung der Proliferation, also der Ausbreitung von Atomwaffen, auferlegt. Der Vertag verpflichtet Washington moralisch, auch gegen ein israelisches Atomwaffenprogramm vorzugehen. Deshalb ist es so wichtig, daß es dieses offiziell gar nicht gibt. Der Fall Iran ist anders gelagert, denn dessen Atomwaffen stehen nicht nur nominell, sondern de facto im Widerspruch zu den geopolitischen Interessen der USA. Das ist nachvollziehbar, aber ungerecht. Creveld: Stimmt. Was ist gefährlicher, ein atomar bewaffneter Iran oder eine atommonopolistische Weltmacht, die das Völkerrecht bricht, wie es ihr es paßt? Creveld: Das ist eine politische Frage. Ich bin aber kein Politiker, ich bin Analytiker. Deshalb gebe ich Ihnen eine analytische Antwort. Bewerten müssen Sie diese dann selbst: Die USA verhalten sich, wie ein Hegemon sich eben verhält. Das kann man beklagen. Aber das hat nichts mit „amerikanischer Heuchelei“ zu tun. Jedes andere Land der Welt würde sich nicht anders verhalten, wenn es an Stelle der USA wäre. Und der Iran verhält sich, wie ein international geächteter Außenseiter sich eben verhält. Das kann man beklagen. Aber das hat nichts mit einer „Achse des Bösen“ oder einem „Außenposten der Tyrannei“ zu tun. Jedes andere Land der Welt würde sich nicht anders verhalten, wenn es an Stelle des Iran wäre. Amerikaner, Europäer und Iraner sehen sich allerdings offensichtlich jeweils als Vertreter der wahren moralischen Position. Creveld: Merke: Wenn es um Kernwaffen geht, dann lügen sie alle! Diese Frage ist so heikel, daß man mit Fug und Recht behaupten kann, daß kein einziges wahres Wort im Spiel ist. Das gilt auch für Iran, der sich nur deshalb moralisch zurücklehnen kann, weil er der Benachteiligte ist. Wäre er schon Mitglied im Club, würde er ebenso versuchen, neuen Anwärtern ihr Recht auf nukleare Bewaffnung vorzuenthalten. Mit Moral kommen wir nicht weiter. Hier geht es um Macht. Sie haben in der „Welt“ geschrieben, „angesichts der Machtverhältnisse zwischen beiden Ländern, kann die Idee einer iranischen Bedrohung für die Vereinigten Staaten nur das Produkt einer verirrten Phantasie sein“. Creveld: Natürlich, Irans „Shihab 3“-Trägerraketen reichen etwa 1.300 Kilometer weit, das reicht wohl kaum bis Washington … … aber bis Israel. Hinter dem von den USA als im Interesse des Westens proklamierten Engagement steckt also allein das Interesse Tel Avivs? Creveld: Nein, so einfach ist es nicht. Sicherlich sieht Washington im Falle einer Bedrohung seines Verbündeten Israel immer auch die eigenen Interessen bedroht, aber das allein ist hier nicht das Motiv. Teherans Griff nach der Atommacht stellt per se eine Verletzung der US-Interessen dar. Erstens weil sich beide Länder seit der Iranischen Revolution 1979 als Erzfeinde betrachten. Zweitens weil sich das weltweite Atompotential, das die USA am liebsten allein auf ihr Land beschränkt sähen, damit weiter erhöht. Drittens weil Washington mittlerweile überall in der Region Militärstützpunkte unterhält, Flottenteile disloziert und das Nachbarland Irak besetzt hat. Außerdem wünschen die USA nicht, daß eine Atommacht Iran in einer Region, in der knapp achtzig Prozent des Weltvorrates an Erdöl liegen, Druck auf seine Nachbarn ausüben kann. Das sind alles legitime Interessen, kein einziges ist jedoch durch ein legitimes Recht gedeckt. Dagegen gibt es etliche Gesichtspunkte, die den Iran tatsächlich ins Recht setzen. Creveld: Das beste wäre vielleicht, von Recht überhaupt nicht zu reden. Grundsätzlich aber liegen Sie richtig: Warum sollten die USA, Israel oder Irans Nachbar Pakistan Atomwaffen besitzen, Teheran aber nicht? Zumal sich die strategische Lage des Iran in den letzten Jahren sehr verschlechtert hat: Inzwischen ist das Land von US-Militärstützpunkten regelrecht eingekreist. Die Iraner haben außerdem erlebt, daß die USA den acht Jahre langen, äußerst blutigen Krieg des Irak gegen ihr Land beständig geschürt haben, um das Mullah-Regime zu neutralisieren. Sie haben erlebt, wie Amerika den östlichen Nachbarn Afghanistan 2001 bombardiert und den westlichen Nachbarn Irak bombardiert und 2003 schließlich erobert und besetzt hat. Als Perser hätte ich also genug Grund, die USA zu fürchten. Also sollen wir den Iran gewähren lassen? Das ist doch wiederum nicht in unserem Interesse. Creveld: Sie können sicher sein, daß ein atomar bewaffneter Iran wirklich alles andere als meine Wunschvorstellung ist. Glücklicherweise bin ich aber kein Politiker und muß deshalb auch keine Antwort auf dieses Problem geben. Was würden Sie als Analytiker raten? Creveld: Ich würde darauf hinweisen, daß Atomwaffen – erfahrungsgemäß – ein Land nicht mehr, sondern eher weniger streitsüchtig machen. Denn überall wo ein „Gleichgewicht des Schreckens“ eingetreten ist, haben die bewaffneten Konflikte in der Regel zumindest abgenommen. „Was, wenn der Iran nach einem US-Angriff zurückschlägt?“ Das ist eine Chance, aber keine Garantie. Creveld: Was wäre die Alternative, da weder Diplomatie und wohl auch kein Embargo den Iran von seinem Vorhaben abbringen kann, wie die Experten fast einhellig sagen? Es bliebe nur ein Militärschlag. Der wird aber zweifellos nicht so einfach sein, wie 1981 im Falle des irakischen Reaktors Osirak. Der Iran hat aus der irakischen Erfahrung gelernt und seine Atomanlagen auf etwa dreihundert, teilweise versteckte und verbunkerte Einrichtungen verteilt. Können wir garantieren, daß wir alle Anlagen vollständig zerstören? Was wenn nicht? Wie wird die iranische Antwort aussehen? Wird Teheran zur Vergeltung Tel Aviv angreifen? Wie wird Tel Aviv reagieren? Intervenieren wir, eskaliert der Konflikt, arrangieren wir uns, besteht die Möglichkeit ihn einzuhegen. Ich rate: Abschreckung statt Angriff. Und das genügt? Creveld: Persien ist der älteste Staat der Welt, Kyros II. gründete das persische Reich bereits im 6. Jahrhundert vor Christus. Das ist ein stolzes Erbe. Die Iraner wissen, daß es im Falle eines Angriffs, etwa auf Israel, mit dieser Herrlichkeit für immer vorbei ist, weil dann da wo heute der Iran ist, nur noch eine atomare Wüste sein wird. Nach menschlichem Ermessen müßte das genügen. Dennoch zeigt sich Tel Aviv sehr besorgt. Creveld: Aber natürlich. Erstens ist das trotz allem keine angenehme Lage und zweitens dürfen Sie nicht vergessen, daß wir solche Situationen gerne dazu nutzen, um in Europa und den USA durch entsprechendes Auftreten Anteilnahme zu erzeugen, um billig an Waffen zu kommen. Was übrigens auch prima funktioniert. Eine Unter- oder Feststellung, die in Deutschland potentiell als „antisemitisches Ressentiment“ betrachtet wird. Creveld: Oh, ich kann Ihnen versichern, ich bin ganz und gar kein Antismit – obwohl einige meiner Landsleute das wohl behaupten. Das Ganze ist ja keine jüdische Teufelei, nein, wir verhalten uns einfach so, wie sich jedes andere kleine Land mit dem Rücken zur Wand an unserer Stelle auch verhalten würde. Und um Ihnen ein Beispiel für diese „Unterstellung“ zu geben: Die jüngste Lieferung zweier hochmoderner deutscher Delphin-U-Boote, die zu einem Drittel Deutschland für uns bezahlt hat und die – wenn man den verschiedenen internationalen Medien glauben darf – auch die Kapazitäten zum Abschuß atomar bestückter Marschflugkörper haben; auch wenn das Ihr damaliger Verteidigungsminister Peter Struck stets dementiert hat. Es gehört zum Glück für uns in Europa eben zum guten Ton, diese interessengeleiteten Gesichtpunkte Israels einfach unter den Tisch fallen zu lassen. Halten Sie es nicht für unpatriotisch, dies in einer deutschen Zeitung anzusprechen? Ein deutscher Leser wird das nicht goutieren. Creveld: Ich halte mich durchaus für einen israelischen Patrioten – aber eben auch für einen seriösen Analytiker. Sie sprechen auch die israelischen Atomwaffen an. In Deutschland unbekannt: Alles was man darüber veröffentlicht, unterliegt in Ihrem Heimatland einer Zensur. Creveld: Mir selbst sind von dieser Behörde schon etliche Seiten aus meinen Büchern gestrichen worden. Sogar Informationen, die im Grunde allgemein bekannt sind. Und warum? Weil es gar nicht um herkömmliche Geheimhaltung geht, sondern darum, das Thema am besten überhaupt nicht zu erörtern. Das ist die Folge des Kompromisses, den man damals mit den USA schloß: Wir reden nicht davon, sie fragen nicht danach. Deshalb haben wir unseren Atomwaffenbesitz auch nie kommentiert: weder bestätigt noch dementiert. „Gefährlicher als Iran sind für Deutschland seine Verbündeten“ Der Nahost-Experte Peter Scholl-Latour rät dazu, auch Deutschland solle sich Atomwaffen zulegen. Creveld: Warum sollte Deutschland das tun? Wegen des Iran? Ich glaube, Berlin würde dann ganz erhebliche Probleme mit den eigenen Verbündeten – Paris, London, Washington – bekommen. Probleme, die für die deutschen Interessen weit bedrohlicher wären als ein atomar gerüsteter Iran. Was würde passieren? Creveld: Es würde ohne Zweifel zu einer Krise in Nato und EU führen. Wie weit würden unsere Verbündeten gehen? Creveld: Ganz bestimmt würde es nicht zu einer militärischen Intervention gegen Berlin kommen, aber der Druck dürfte so massiv sein, daß jede vernünftige deutsche Regierung davon absehen würde, diesen Plan zu verwirklichen. Aber seien Sie beruhigt, sollte es jemals dazu kommen, daß Deutschland glaubt, unbedingt eigene Atomwaffen für seine Verteidigung zu brauchen, so dürfte ihr Land in der Lage sein, in etwa 90 bis 120 Tagen solche zu bauen – vielleicht sogar in noch kürzer Zeit. Würde eine Atommacht Deutschland nicht international an Prestige gewinnen? Creveld: Japan hat keine Atomwaffen, China schon. Dennoch ist Japans Prestige weit höher, als das chinesische. Deutschlands internationales Prestige ist ohnehin sehr groß. Vielleicht würde es noch ein kleines Stückchen weiter wachsen, aber auf keinen Fall auch nur entfernt in einem Maße, das die enormen Kosten für solch ein Projekt rechtfertigen würde. Imponierender als die Atomwaffen selbst wäre vermutlich der plötzliche politische Wille, sich solche zu beschaffen. Denn machtpolitisch gilt Deutschland heutzutage doch eher als handzahm. Scholl-Latour empfiehlt, sollte Deutschland nicht entschlossen sein, sich die Bombe zu beschaffen, wenigstens auf die Aufstellung einer europäischen Atomstreitmacht zu dringen. Creveld: Ich kann Ihnen mit Sicherheit sagen, daß es dazu ganz bestimmt niemals kommen wird. Denn das werden Franzosen und Engländer nie zulassen. Und zwar nicht nur, weil es ihre eigene Stellung als Atommächte relativieren würde, sondern weil es viel zu gefährlich ist. Von Atomwaffen versucht man möglichst jeden anderen außer sich selbst fernzuhalten. Man unterstellt sie nicht per Übereignung in europäisches Gemeineigentum und damit der Einflußnahme Dritter! Prof. Dr. Martin van Creveld gilt als einer der bedeutendsten Militärtheoretiker der Gegenwart. Er beriet die Streitkräfte verschiedener Nationen, darunter auch das US-Verteidigungsministerium. Mit seinem 1991 veröffentlichten Buch „The Transformation of War“ („Die Zukunft des Krieges“, Gerling Akademie Verlag, 1998) erregte der Historiker international Aufsehen. Darin sagte er die Zukunft der asymmetrischen Kriegsführung voraus, wie ihr sich der Westen spätestens seit dem 11. September 2001 gegenübersieht. Van Creveld lehrt an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Geboren wurde er 1946 in Rotterdam. Zuletzt erschienen ist sein Buch „Kampfkraft. Militärische Organisation und Leistung der deutschen und amerikanischen Armee 1939-1945“ (Ares Verlag, 2005) Foto: Iraner demonstrieren für ihr Nuklearprogramm: „Afghanistan bombardiert, Irak besetzt, Iran eingekreist. Als Perser hätte ich Grund genug, die USA zu fürchten“ weitere Interview-Partner der JF
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