In Bertolt Brechts „Rede über die Widerstandskraft der Vernunft“ heißt es: „Tatsächlich kann das menschliche Denkvermögen in erstaunlicher Weise beschädigt werden. Dies gilt für die Vernunft der einzelnen wie der ganzer Klassen und Völker. Die Geschichte des menschlichen Denkvermögens weist große Perioden teilweiser oder völliger Unfruchtbarkeit, Beispiele erschreckender Rückbildungen und Verkümmerungen auf. Der Stumpfsinn kann, mit geeigneten Mitteln, in großem Umfang organisiert werden. Der Mensch vermag unter Umständen ebensogut zu lernen, daß zwei mal zwei fünf, als daß es vier ist.“ Die nächste Aktion zur Volksverblödung ist eine „Sprachfibel gegen Rassismus“, die vom Deutschen Journalisten-Verband gemeinsam mit dem Duisburger Institut für Sprache und Sozialforschung (DISS) erarbeitet wird. Die Fibel soll Journalisten „zu besonders sensiblem Umgang“ mit der Sprache veranlassen. Noch immer seien viele Begriffe aus dem „Nazideutsch“ im Gebrauch, von denen man die Sprache „reinigen“ müsse. Margarete Jäger, Ehefrau des Institutsdirektors Siegfried Jäger, kritisiert die Wortwahl zum Thema „Migration“. Deutschland würde mit einer Insel oder einem Boot verglichen, das Flüchtlings- und Einwandererfluten ausgesetzt sei. Diese „Kollektivsymbolik“ könne „diskriminierende Effekte produzieren bis hin dazu, daß sich in der Bevölkerung ein latentes Bedrohungsgefühl ausbreitet“. Frau Jäger möchte also die Normierung der Sprache, auch „PC“ genannt, weiter verschärfen. Die Bürger sollen daran gehindert werden, Klarheit über die Situation gewinnen, in der sie sich befinden, und das ausgerechnet in dem Moment, wo die sozialen, ethnischen, religiösen und politischen Konflikte sich nicht länger durch Geldtransfers ruhigstellen lassen. Verbannt werden sollen Worte wie „Asylanten“ oder „Asylbewerber“ sowie „Rasse“, was problematisch sein dürfte, weil dann der „Rassismus“ seinen Bezug verlöre. Das manipulative Vorgehen der Fibel-Produzenten wird deutlich am „Gutmenschen“, dessen Volksetymologie klar ist: Gemeint sind politisch dilettierende Krankenschwestern, verkrachte Studenten und exaltierte Heulsusen, die vor allem bei den Grünen Unterschlupf gefunden haben, die fehlende Qualifikationen durch Meinungsstärke kompensieren und statt von Arbeit von „Staatsknete“ leben. Vom „Gutmenschen“ sei zwar „nicht klar (…), ob der Begriff von Josef Göbbels (sic!) oder Redakteuren des Stürmer 1941 ersonnen worden ist“, aber der assoziative Zusammenhang ist damit schon mal hergestellt. In den folgenden Sätzen wird die Insinuation als halbe Tatsache gehandelt, von der aus der Bezug zu den „lebensunwerten Juden“ und Hitlers „Mein Kampf“ hergestellt wird, wo „gutmei-nende“ und „gutmütige“ Menschen „den Feinden des deutschen Volkes in die Hände spielen“. In der Presseerklärung des Journalisten-Verbandes firmiert der „Gutmensch“ dann bereits als „ein Begriff aus dem Stürmer“. Mit Wissenschaft oder Journalismus hat das nichts zu tun, es dient nur der Selbstrechtfertigung und -befriedigung eines leerlaufenden Wissenschafts- und Medienbetriebs. Natürlich gibt es keine Reichspressekammer und keine Ausgabe von Tagesparolen wie im „Dritten Reich“ und in der DDR, trotzdem ist das Drohpotential, das in solchem Aktionismus liegt, beträchtlich. Denn die Arbeitsmarktlage für Journalisten und Akademiker ist miserabel, vielen sitzt die Angst im Nacken. Schnell stehen sie vor der Wahl, sich durch Wohlverhalten ein Zuckerbrot zu verdienen – eine „Stiftung für Integration“ will einen Medienpreis „Journalisten gegen Rassismus“ ausloben, vermutlich aus Steuergeldern – oder bei Unbotmäßigkeit die Peitsche in Form einer Vernichtung ihrer beruflichen Existenz zu erleiden. Mit dem „Neusprech“ wollen Jäger & Co. die Benennung, Analyse und Lösung realer Probleme und damit eine Neu-Politisierung der Politik verhindern. Kein Wunder, haben sie doch jahrzehntelang davon gelebt, die Konflikte zu bestreiten und zu tabuisieren. „Es geht darum, den Begriff zu dekonstruieren, und das heißt nichts anderes, als die Deutung eines gesellschaftlichen Sachverhalts grundsätzlich zu ändern.“ Das ist Vulgärhegelianismus à la Orwell: „Krieg ist Frieden“, „Sklaverei ist Freiheit“. Die Wirklichkeitserfahrung soll immer stärker in ein abstraktes, sprachlich geformtes und medial weiter verformbares Konstrukt eingezwängt werden. Das Verfahren ist deshalb so gefährlich und leider auch chancenreich, weil die Bedeutung der Schriftkultur bei der Konstituierung des öffentlichen Bewußtseins rapide abnimmt und die auf die Medien verwiesenen Menschen allmählich den Sinn für historische Fakten und Kontinuitäten verlieren. Wirklichkeit ist schließlich nur noch das, was die manipulativen Medien befehlen. Das falsche Bewußtsein reproduziert sich weiter, die Kultur- und Reflexionsfähigkeit kommt abhanden. Jägers Traum in Brechtscher Diktion: „Sie (die Vernunft, D. N.) muß verkrüppelt sein. Es muß eine regulierbare, jeweils mehr oder weniger mechanisch vergrößer- und verkleinerbare Vernunft sein. Sie muß weit und schnell laufen können, aber zurückpfeifbar sein. Sie muß imstande sein, sich selber zurückzupfeifen, gegen sich selber einzuschreiten, sich selber zu destruieren.“ Zur Zeit arbeiten die Sprachreiniger daran, Politiker auf ihre Seite zu ziehen, um neben institutioneller „möglicherweise auch finanzielle Unterstützung“ zu gewinnen. Vor dem Hintergrund, daß die Handlungsfähigkeit der Politik und die Qualität des politischen Personals dramatisch abgenommen haben, klingt das bedrohlich. Politik und Medien würden noch enger zusammenrücken, sich gegenseitig in ihrer Realitätsflucht bestätigen und die Entpolitisierung weiter vorantreiben. Das Vorhaben muß auch unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit diskutiert werden. DISS-Leiter Siegfried Jäger, Jahrgang 1937, hat den größten Teil seines Berufslebens als Kammerjäger wider den geistigen Faschismus verbracht. Dafür bekommt der emeritierte Professor jetzt eine Pension, von der nachfolgende Generationen allenfalls träumen dürfen. Können seine Alters- und Gesinnungsgenossen nicht wenigstens jetzt, nachdem sie das Land gegen die Wand gefahren haben, ihren Mund halten? Oder haben sie Angst davor, daß diejenigen, deren Zukunftschancen sie minimiert haben, sich ohne ihre Aufsicht an Brechts „Lob des Lernens“ erinnern werden: „Prüfe die Rechnung. / Du mußt sie bezahlen. /Lege den Finger auf jeden Posten / Frage: wie kommt er hierher?“ Der nächste logische Schritt wäre dann nämlich, die Rechnung an die Kostenverursacher durchzureichen.