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Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Rüstungsprojekte der Bundeswehr: Vom Knirschen im Gebälk

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Rüstungsprojekte der Bundeswehr: Vom Knirschen im Gebälk

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Rüstungsprojekte der Bundeswehr: Vom Knirschen im Gebälk

Wie kann es Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gelingen, den Aufwuchs der Bundeswehr zu vollbringen?
Wie kann es Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gelingen, den Aufwuchs der Bundeswehr zu vollbringen?
Wie kann es Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gelingen, den Aufwuchs der Bundeswehr zu vollbringen? Foto: picture alliance/dpa | Christoph Soeder
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
 

Rüstungsprojekte der Bundeswehr: Vom Knirschen im Gebälk

Die Bundeswehr soll schnellstmöglich zur stärksten Armee in Europa werden, fordert Kanzler Merz von der Generalität. Kriegswichtige Rüstungsprojekte befinden sich jedoch dauerhaft im Krisenmodus.
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Daß der Kreml trotz des laufenden Ukraine-Krieges für einen unerbittlichen Kampf um eine neue Weltordnung aufrüste und dabei unaufhaltsam Deutschland und die Nato bedrohe, war die zentrale Botschaft auf der zweitägigen Bundeswehrtagung nahe des Berliner Diplomatenviertels, die vergangenen Freitag mit dem presseöffentlichen Teil endete. Unter den sicherheits- und verteidigungspolitischen Leitthemen Einsatzbereitschaft und Zukunftsfähigkeit, Rüstung und Innovation orchestriert, diskutierten Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und die militärische Führungsspitze der Bundeswehr tags zuvor über die strategische Ausrichtung der deutschen Streitkräfte nach der diesjährigen Nato-Tagung in Den Haag, den personellen Truppenaufwuchs auf über 460.000 Soldaten und die wehrmaterielle Erhöhung der Einsatzbereitschaft – allerdings hinter verschlossenen Türen.

Gewissermaßen als die „Biennale der Generale“ findet die Bundeswehrtagung turnusgemäß alle zwei Jahre statt und gilt als das Spitzenevent des Berliner Bendlerblocks. Dabei wurden Verteidigungsminister Pistorius, Generalinspekteur (GI) Carsten Breuer und der Befehlshaber des Operativen Führungskommandos, Alexander Sollfrank, nicht müde, das Mantra russischer Expansionsabsichten unisono zu unterfüttern. Mit Blick auf den Kriegsverlauf in der Ukraine rief General Breuer ins Gedächtnis, daß Rußland aus den eigenen Fehlern gelernt habe, waffentechnologisch weiterhin schlagfähig sei und wegen des parallelen Fortlaufs hybrider Attacken und unverhohlener nuklearer Kriegsrhetorik gegenüber dem Westen für Europa und die Nato die Hauptbedrohung sei.

Auch Generalleutnant Sollfrank – im Kriegsfall an der Nato-Ostflanke für den alliierten Truppenaufmarsch durch die „logistische Drehscheibe“ Deutschland zuständig – unterstrich, daß Moskau weiterhin über intakte Luftstreitkräfte und über Massen an Kampfpanzern verfüge, die schon jetzt einen begrenzten Angriff auf Nato-Territorium denkbar erscheinen ließen. Treibe der Kreml seine Aufrüstung und die personelle Erhöhung der russischen Armee auf 1,5 Millionen Soldaten voran, sei bis 2029 auch ein großer Angriff nicht ausgeschlossen. Weil das zukünftige Kriegsbild multidimensional, multiregional und multitemporal sei, so Breuer, müsse die Bundeswehr den materiellen und personellen Streitkräfteaufwuchs entschieden vorantreiben.

Merz verlangt radikalen Mentalitätswandel der Generalität

Die Bundeswehr müsse zur „stärksten konventionellen Armee“ in Europa werden, und das „schnellstmöglich“, so lautete die zugeschaltete Videobotschaft von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), die er nicht nur an die tagende Generalität, sondern vor allem an die Kreml-Adresse gerichtet haben dürfte. Sein geradezu mahnender Appell dürfte sowohl unter den rund 200 Spitzenbeamten, einschließlich der geschlossen angetretenen Generalität, für Irritationen gesorgt haben, denn Merz verlangte mit Blick auf seine Schnelligkeitsinitiative, daß die militärischen Führungsetagen nicht nur einem „radikalen Mentalitätswechsel“, sondern endlich höheres „Tempo zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit“ an den Tag legen sollten. So könne die Bundeswehr „den Bedrohungen von heute“ […] „nicht mit den Verwaltungsvorschriften von gestern begegnen“, was von Merz als massive Kritik an der noch immer von überbordender Bürokratie, Verantwortungs- wie Zuständigkeitsdiffusion gekennzeichneten Militär-Administration des Gesamtapparats Bundeswehr interpretiert werden konnte.

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, spricht auf der Tagung in Berlin.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, spricht auf der Tagung in Berlin. Foto: Degner

Putins potentielle Versuche, weitere Grenzen mit Gewalt zu verschieben, seien folglich „kein Kaffeeklatsch“, unterstrich auch Pistorius, wobei er die unter seiner ministeriellen Verantwortung angeschobenen Rüstungsaktivitäten in seinem gut einstündigen Statement beschwor. Aufgrund seiner Reformagenda sei das Wehrressort in der Spitzenaufstellung neu formiert und „auf dem Weg zu schlankeren, schnelleren, effektiveren Strukturen“, wie der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt (IBUK) die initiierte Bundeswehr-Neuaufstellung mit von Heiserkeit geprägter Stimme zugleich als Attraktivitätsschub herausstellte. Daß seine neustrukturierte Chef-Etage entlang eines kleinteiligen, 14-seitigen Geschäftsverteilungsplans nunmehr 262 Organisationselemente aufweist, sorgt indes nicht nur im Bendlerblock für Ernüchterung.

Denn die Absicht des IBUK, mit dem Umbau ein „schlagkräftigeres Ministerium“ zu schaffen, schlägt auch bei Wehrexperten nach umfassender Strukturanalyse vollends fehl. Und so geistert das Gespenst von der andauernden „Binnenoptimierung“ wohl noch bis Ende 2026 durch die Bendlerblock-Etagen, ohne daß sich ein substantieller Mehrwert erschließen dürfte. Mit der Kompetenzverlagerung installiert Pistorius jedoch einen inneren Polit-Zirkel um sich, dessen Auserwählte sich mit Titeln wie „Amtschef“ oder „stellvertretender Minister“ ausschmücken können, während der Generalinspekteur im Organigramm unter die Ebenen der Staatsekretäre rutscht.

Rüstungsprojekte der Bundeswehr stocken

Doch nicht nur Pistorius‘ ramponierte Stimme ließ auf der Generalstagung Zweifel an seinen offiziellen Positivmeldungen aufkommen, wenn es um die bisherige Vollausschöpfung des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens für Rüstungsprojekte geht. Entgegen Merz‘ „schnellstmöglich“ zu schließenden Fähigkeitslücken bahnen sich drastische Verzögerungen in nahezu allen wehrmateriellen Großprojekten an. So schränkt das für den kriegswichtigen Informations- und Kommunikationsaustausch essentielle Heeres-Projekt „Digitalisierung-Landbasierte Operationen“ (D-LBO) die Einsatzbereitschaft erheblich ein, da die D-LBO-Funksoftware nicht reibungslos funktioniert und für den einzelnen Soldaten schon unter Laborbedingungen extrem kompliziert in der Handhabung ist, was aktuell nur durch zeitfressende Notlösungen mit veraltetem Analogfunk kompensiert werden kann.

 

Friktionen gibt es auch beim Flugabwehrsystem „Skyranger“, das auf Basis des Radpanzers „Boxer“ als zukünftiges Rückgrat der Drohnenbekämpfung im Nah- und Nächstbereich der Landstreitkräfte geplant ist, weil das Hightech-Waffensystem die seitens des Koblenzer Beschaffungsamts vertraglich fixierten finalen funktionalen Fähigkeitsanforderungen nicht erfüllt und dem Zeitplan zur Truppenauslieferung erheblich hinterherhinkt, wie Rüstungsinsider monieren.

Alarmstimmung löste nicht zuletzt die Beschaffungsmisere bei den sechs bestellten Fregatten F126 aus; eigentlich das geplante Vorzeige-Kriegsschiff zukünftiger deutscher Flottenrüstung, das Putins Seestreitkräften nun erst ab den 2030er Jahren vor allem in der Ostsee Paroli bieten soll. Hier erwies sich das mit zehn Milliarden Euro geplante Flaggschiff der Deutschen Marine als gravierende Großbaustelle, da der niederländische Hauptauftragnehmer Damen-Werft die digitalisierte Operationszentrale und damit das IT-basierte Nervenzentrum des Kriegsschiffs aufgrund von Software-Problemen nicht durchkonstruieren kann.

Aufrüstungspläne bleiben vorerst Wünsche

Der bevorstehende Rettungsversuch, das zukünftige Rückgrat der Seestreitkräfte an die Bremer Lürssen-Werft zu übergeben, dürfte den F126-Bau erheblich verteuern, so Marineexperten, die hinsichtlich der geplanten F126-Inbetriebnahme um 2028 nun Auslieferungsverzögerungen von mehreren Jahren erwarten.

Merz‘ schnellstmögliche Aufrüstung bleibt vorerst ein Wunsch der rüstungspolitischen Traumfabrik. Es knirsche heftig im verteidigungspolitischen Gebälk, wie GI Breuer auf der Bundeswehrtagung die Sicherheitslage Deutschlands und Europas kolportierte.

Wie kann es Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gelingen, den Aufwuchs der Bundeswehr zu vollbringen? Foto: picture alliance/dpa | Christoph Soeder
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