Friedrich Merz scheiterte heute knapp, einen Gesetzentwurf durch den Bundestag zu bringen, der wenige sofortige Änderungen bei der Migrationspolitik gebracht hätte. Am Ende fehlten zwölf Stimmen für eine Mehrheit. Der Abstimmung blieben von der Unionsfraktion zwölf Abgeordnete fern – davon überwiegend der harte Kern der Merkel-Jünger wie Monika Grütters, Helge Braun und Thomas Heilmann.
Während die AfD geschlossen für den Antrag stimmte, mußten bei der FDP 16 Volksvertreter offenbar rechtzeitig den Wochenendflieger bekommen, fünf enthielten sich, zwei stimmten mit Nein. Merz wirft der FDP vor, für das Scheitern verantwortlich zu sein.
Binnen 48 Stunden mobilisierte das linke Vorfeld von Grünen und SPD einen Mob gegen die Union
Nicht spurlos vorbeigegangen sein wird an den Parlamentariern der Sturm der Empörung von links, der in den vergangenen 48 Stunden über die Republik brandete. Steigbügelhalter der Nazis sei die CDU, eine zweite Machtergreifung stünde bevor, jetzt drohe eine AfD-CDU-Regierung nach dem 23. Februar.
Binnen weniger Stunden hatten Grüne und SPD ihre „zivilgesellschaftlichen“ Antifa-Sturmtruppen, die jährlich mit sagenhaften 182 Millionen Euro Staatsknete aus dem Fördertopf „Demokratie Leben“ subventionierten NGOs auf der Strasse, wurde das Konrad-Adenauer-Haus von Tausenden Demonstranten blockiert, erschollen Rufe „Alle zusammen gegen den Faschismus!“, „CDU verbieten“ und „Ganz Berlin haßt die CDU!“.
Bundesweit wurden unzählige Geschäftsstellen der CDU von linksradikalen Chaoten angegriffen, Büros verwüstet, Fassaden beschmiert, Mitarbeiter bedroht. Eine Erfahrung, die in den vergangenen Jahren vor allem die AfD machen mußte. Ein Aufschrei der darüber durchs Land ginge? Eine Protestnote des Bundespräsidenten? Fehlanzeige. Hier zeigt sich, wer im Ernstfall blitzartig die Straße, den Mob in Stellung bringt, um Politiker und Parlamente unter Druck zu setzen.
Es war eine historische Debatte: Nie lagen die Gegensätze offener zu Tage
Die heutige Bundestagsdebatte kann indes historisch genannt werden. Offen wie nie lagen die Gegensätze zwischen den Parteien zutage in einer zentralen, schicksalhaften politischen Frage: der Migration. Plötzlich wurde sichtbar, wie tief der Graben zwischen dem linken Teil des Plenums und dem rechten in dieser Frage ist – und die rechte Seite bildet tatsächlich der Block aus FDP, CDU/CSU und AfD.
Seit der mit knapper Mehrheit von CDU/CSU, FDP und AfD angenommenen Entschließung zu einer Asylwende von Mittwoch auf Antrag von CDU-Chef Friedrich Merz ist ein Vorhang entzweigerissen. Ein Vorhang der Verdrängung, der einen Dissens verschleiert in einer Kernfrage. Der Frage, wie Deutschland wieder Herr der Lage werden kann. Wie Deutschland endlich beginnt, sich wieder wie eine normale Nation zu verhalten. Eine Nation, zu deren Fundament es gehört, zu bestimmen, wer die staatlichen Grenzen überschreiten darf und wer nicht.
Grüne und SPD wehren sich prinzipiell gegen eine Begrenzung der Migration
Es kam zu einer an vielen Stellen ungewöhnlich ehrlichen, direkten Redeschlacht. Torsten Frei, parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, rief in einer Intervention den Grünen zu, sie sollten schlicht endlich zugeben, daß sie generell keine Begrenzung der Migration wollten – weshalb auch keine Einigung zu erzielen sei.
Das bestätigte die grüne Ko-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge, als sie den flehenden Appell an die Union richtete, das Thema Migration aus dem Wahlkampf „herauszuhalten“, man solle sich eine Pause gönnen, um die Ereignisse der letzten Tage zu verarbeiten. Also genau das, was seit Jahrzehnten immer wieder versucht wird, um Entscheidungen zu verhindern und zu verschleppen. FDP-Fraktionschef Christian Dürr konterte mit dem Hinweis, Grüne und SPD wollten offensichtlich bei diesem Thema dauerhaft „auf die Pausetaste drücken“.
Hohes Risiko für Merz – wenn er nach der Wahl nicht liefern kann
Friedrich Merz ist mit der Entscheidung, nach der Bluttat von Aschaffenburg schlagartig eine Asylwende einzuleiten und Abstimmungen im Zweifel mit Hilfe der AfD zu erzwingen ein hohes Risiko eingegangen. Er bricht aus einem bis dahin vom Thema der Wirtschaftskrise beherrschten Wahlkampf aus, in dem er sich bis dahin eher unprofiliert gezeigt hatte. Aus einem Wohlfühlwahlkampf wurde blitzartig eine scharfe Polarisierung. Wir sehen die Rückkehr einer Lagerbildung, wie es sie zuletzt unter Helmut Kohl gegeben hatte.
Jetzt hängt Merz das Schild „Türöffner der AfD“ um den Hals, auf das seine politischen Gegner bis zum Wahltag zeigen werden. Er entgegnet dem durch noch einmal gesteigerte flammende Schwüre, „niemals“ jenen „die Hand zu reichen“, die seinen Anträgen jetzt zu Mehrheiten verholfen haben.
Merz hat mit seinem Vorstoß auch den endgültigen Bruch mit der Ära Merkel provoziert. Die Altkanzlerin, die ihre Partei im Windkanal gnadenlos an den linken Zeitgeist anpaßte und durch ihre abenteuerliche Grenzöffnung 2015 für das Chaos in der Migrationspolitik verantwortlich ist, hat sich mit ihrer öffentlichen Attacke gegen ihren Nachfolger faktisch aus der CDU katapultiert. Das Tischtuch ist damit endgültig zerschnitten.
Doch die Merz-CDU steht trotz allem vor einem ungelösten Grunddilemma: Mit wem will sie eigentlich nach dem 23. Februar die von ihr vollmundig geforderte große Asylwende einleiten? Wenn nicht mit der AfD – welche der soeben frontal brüskierten linken Parteien soll das mittragen?
Der AfD ist der Einbruch der Realitäten in die Echokammer des Bundestages zu verdanken
Der Showdown des heutigen Tages, der Einbruch der Realitäten in die Echokammer des Bundestages ist der AfD zu verdanken. Ohne die AfD und ihren wachsenden Zuspruch wären die etablierten Parteien und voran die Union nicht derart getrieben, sich den drängenden Fragen endlich zu stellen.
Merz berührte in seiner Bundestagsrede den wunden Punkt, als er die Mitschuld für eine „grundfalsche Migrationspolitik“ einräumt: „Und dafür trägt auch meine Partei eine gehörige Verantwortung. Wenn wir das damals besser gemacht hätten, wäre die AfD 2017 nicht in den Bundestag gekommen. Und sie wäre auch 2021 nicht wieder in den Bundestag gekommen.“
Ohne Linksruck der CDU unter Merkel keine AfD-Gründung. Ohne Grenzöffnung 2015 durch Merkel keine Etablierung der AfD. Ohne die massiven Wahlerfolge der AfD kein Bruch der Ampel und vorgezogene Neuwahlen. Ohne weiter steigende Umfragewerte der AfD keine Asylwende der CDU.
Bleibt der Vorstoß von Merz eine Wahlkampf-Luftnummer, dann wird es den Aufstieg der AfD noch einmal beschleunigen. Österreich läßt grüßen.
Die Bundestagsdebatte heute war auf jedenfall eines: Es war ein selten derart offener, kontroverser Streit in der Sache. Weniger Fensterreden, offener Konflikt. Kurz: Eine Sternstunde der Demokratie, eine Sternstunde des Parlaments.