HANNOVER. Der Präsident des Verbands der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI), Gunther Kegel, sorgt sich um den Industriestandort Deutschland. „Bedenklichen Signale“ einer Deindustrialisierung nehmen stetig zu, sagte er der WELT.
Neue Fabriken würden kaum gebaut, in bestehende nicht ausreichend investiert und wegen steigenden Energiekosten drohe vielen energieintensiven Unternehmen das Aus. Da davon viele Wertschöpfugsketten abhängig seien, gerieten dadurch auch viele mittelständische Firmen in Not. Wenn besonders gut bezahlte, sozialversicherungspflichtige Industriearbeitsplätze verloren gingen, drohe „ein massiver Wohlstandsverlust“.
„Ideologische Weltenretter“ wollten einzelne Industriezweige für die in seinen Augen nötige Transformation in Richtung Klimaneutralität „extra kaputt gehen lassen“, kritisierte Kegel. Viele Länder schauten deswegen „völlig verstört“ auf die deutsche Deindustrialisierung, warum das Land die eigene Industrie derart abwracke.
Atomkraft trägt zur Klimaneutralität bei
Eine klimaneutrale Zukunft gehe nur über die Elektrifizierung, bemerkte der ZVEI-Präsident. Der notwendige Strom müsse aus erneuerbaren Energien kommen. Der Ausbau komme aber zu langsam voran. Kegel sprach sich daher auch für einen vorrübergehenden Weiterbetrieb der Kernkraftwerke aus, denn diese seien im Gegensatz zu Sonne und Wind grundlastfähig und verläßlich. Durch den Ausstieg aus der Kernenergie komme der Strommarkt zusätzlich unter Druck. Dabei kenne die heutige Politik das Ausstiegsrisiko genau. „Es soll keiner sagen, er hätte es nicht gewußt.“
Kegel eröffnete am Sonntag Abend zusammen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Hannover Messe 2023, die weltweit wichtigste Industrieschau. Zum Messeauftakt richtete sich der ZVEI-Präsident in seiner Rede auch direkt an Scholz: „Vertrauen Sie und Ihre Regierung mehr auf das umsichtsvolle und verantwortungsvolle Handeln der Unternehmen. Und befreien Sie uns entschlossen von Überbürokratisierung und Regulierung. Für kleine und mittlere Unternehmen ist das eine kaum zu stemmende Last.“ Für den Klimaschutz sollten stattdessen Marktkräfte freigesetzt werden.
Scholz: Transformation ist „riesige Chance“
Kanzler Scholz sieht hingegen keine Deindustrialisierung. Die Umgestaltung der Wirtschaft sei stattdessen „eine riesige Chance für unser Land“. Das „große Wachstumsgeschäft“ treibe Beschäftigung und Wachstum voran, sagte er in seiner Auftaktrede. Für die Transformation müsste Deutschland täglich vier bis fünf Windräder bauen und mehr als 40 Fußballfelder Fotovoltaikanlagen aufstellen. Scholz: „Das wird ein Kraftakt.“

Die Hannover Messe findet noch bis Freitag statt. Nach der Corona-Krise findet sie in diesem Jahr wieder in Präsenz statt und erwartet rund 120.000 Besucher bei rund 4.000 Ausstellern. Im Vor-Corona-Jahr 2019 zählte die Messe noch rund 6.500 Aussteller und etwa 220.000 Besucher. (ca)