In Deutschland schicken sich die rotgrünen und C-Parteien an, den Begriff Familie in ihren Programmen völlig auszuhöhlen, in Frankreich ist man schon einen Schritt weiter. Dort gibt es seit dieser Woche kein Ministerium mehr, das für Familie zuständig wäre. Zwar gibt es unter den 31 Ministerien eins für die Gleichstellung zwischen Mann und Frau und für die diversen Minderheiten und auch für die Jugend hat man noch einen Platz gefunden bei Bildung und Sport, aber Familie ist von der politischen Bühne verschwunden.
Das geschah nahezu unbemerkt, auch die großen Medien haben darüber (noch) nicht berichtet. Kein Wunder, das Augenmerk liegt auf dem parteipolitischen Geschacher und thematisch soll diese Regierung nach dem Willen von Staatspräsident Emmanuel Macron sich dem Wiederaufbau des Sozialsystems, der Wirtschaft, der Kultur und der Umwelt widmen.
Er selbst wird genau darüber wachen, weshalb der rechtskonservative Abgeordnete Eric Ciotti meint, „Macron hat Matignon aufgelöst“. In der Tat hat Macron am Regierungssitz des Premiers einen engen Vertrauten als Chef der Staatskanzlei installiert, sozusagen als Aufpasser für den Premier Jean Castex. Le Monde titelte sehr richtig: Castex im Schatten Macrons.
Neuer Justizminister als „Kriegserklärung“ an Richterschaft
Aber der Schatten ist dunkler, als Castex vermuten mag. Denn in seiner Regierung sitzen zwei landesweit bekannte Persönlichkeiten, die sich eigentlich nichts sagen lassen. Der eine ist der populäre Staranwalt Eric Dupond-Moretti, der auch schon Terroristen verteidigt und sich geradezu regelmäßig mit der Richterschaft angelegt hat. Er ist nun Justizminister.
Die andere Persönlichkeit ist Roselyne Bachelot, die schon unter Chirac und Sarkozy diente und sich freut, daß Kultur nun auf gleicher Stufe rangiert wie Wirtschaft und Umwelt. Beide stehen politisch links der Mitte. Vor allem der ungestüme, kräftig-korpulente Poltergeist Dupond-Moretti, der von Auftritt und Sprache eher an Bud Spencer erinnert, ist für ein grobes Wort immer zu haben und wollte sogar schon die Le Pen-Partei Nationale Versammlung, früher Nationale Front, verbieten lassen.
Bekannt ist seine Forderung nach einer Reform der Richtergewalten, weshalb die Gewerkschaft der Richter seine Ernennung als „Kriegserklärung“ qualifizierte. Ihm ist zuzutrauen, daß er nach ein paar Monaten hinschmeißt, wenn der Premier seinen Ratschlägen nicht folgt. Das ist bei Madame Bachelot nicht zu erwarten. Aber beide wissen, daß diese Regierung eine Art Rettungsmannschaft für Macron ist und insbesondere sie beide auch die Aufgabe haben, die Aufmerksamkeit der Medien von unangenehmen Fragen abzulenken.
No-go-Areas wachsen
Diese Fragen werden kommen. Spätestens im Herbst, wenn die Pleite-und Arbeitslosenwelle das Land überrollt, wenn 700.000 junge Studienabgänger einen Job suchen, wenn die Vorstädte wieder aufflammen, wenn Bauern, Fernfahrer und die Gewerkschaften gegen die geplanten Reformen auf die Straße gehen, wenn die einfachen Leute genug haben von den Windrädern vor ihrer Haustür und vor den Küsten, dann wird man fragen, wo das viele Geld geblieben ist, das man dem Volk versprochen hat.
Macron sieht das sicher kommen und macht deshalb Druck in der EU, damit die Gelder von dort als Zuschüsse und nicht als Kredite fließen. Schon heute ist Frankreich so verschuldet wie nie in der V. Republik. Auch die Sicherheitslage birgt manche Ungewissheit. Der neue Innenminister Gerald Darmanin kommt aus dem „Stall“ Sarkozy, der frühere Staatspräsident ist sein Vorbild. Sarkozy wollte einst die Vorstadtgettos „mit dem Kärcher säubern“, ein Wort, das ihm viel Kritik einbrachte. Darmanin steht nun vor derselben Aufgabe und ohne Härte wird es nicht gehen. Nur sind diese No-go-Areas heute zahlreicher und noch stärker im Griff von Banden aus Tschetschenien, dem Maghreb oder Nigeria.
Über dieser Regierung schwebt der Schatten Sarkozy. Der frühere Präsident trifft sich auch öfter mit Macron und soll ihm den Rat gegeben haben, sich von Premier Edouard Philippe zu trennen. Der parteilose Philippe hatte aber die Corona-Krise zuletzt gut gemanagt und war sehr viel populärer als Macron. Die Trennung von ihm könnte sich als Fehler erweisen. Nach einer Blitzumfrage wollten sechs von zehn Franzosen einen Politikwechsel, aber nur zwei von zehn glauben, daß die neue Mannschaft dazu in der Lage ist. Philippe hätten es mehr zugetraut.
Drohender Untergang der Mitte
Die Regierung Macron-Castex hat nun anderthalb Jahre Zeit, eine Wende herbeizuführen, dann ist Wahlkampf. Macron setzt ganz auf die neue Mannschaft mit dem heimlichen Mentor Sarkozy. Es ist ein Spiel mit hohem Risiko. Die letzte Patrone könnte sich als Leerhülse erweisen. Denn diese Mitte-Rechts-Regierung operiert nur taktisch und kennt, ähnlich wie die Regierung Merkel, keine Prinzipien – das jüngste Beispiel ist die Vernachlässigung der Familie, obwohl gerade sie als systemrelevante Basis durch die Krise geführt hat.
Aber wenn sie scheitert, scheitert die Mitte auch. Die rechtskonservativen Republikaner werden dann, sofern sie kein klares Programm mit dem entsprechenden Kandidaten haben, ebenfalls in den Sog des Niedergangs der Mitte geraten. Macron hofft auf diese Wähler und eine Stichwahl gegen Marine Le Pen.
Er dürfte sich täuschen. Nicht nur, weil er anhaltend unbeliebt ist und keinen Draht zum Volk findet. Hinzu kommt: Einen gescheiterten Präsidenten abzuwählen könnte für die konservativen Wähler ein geringeres Risiko darstellen, als Le Pen zu wählen. Taktik ohne Prinzip ist nicht immer intelligent, vor allem wenn die realen Probleme insbesondere der Sicherheit Überhand nehmen.
Der große Geschichtsphilosoph und Soziologe Raymond Aron meinte einmal: „Je mehr sich die Intelligenz von der Wirklichkeit entfernt, umso mehr träumt sie von der Revolution“. Und die könnte ganz anders aussehen, als Macron sie sich heute vorstellt. Aber eine zweite Chance hat er nicht mehr, die Kugel im französischen Roulette rollt.