Grün und blau – schmückt die Sau. Was als Kombination bei der Kleiderwahl einst verpönt war, ist in der politischen Farbenlehre nach diesem Wahlsonntag à la mode. Grüne und AfD gehen gestärkt aus den Urnengängen hervor (die einen noch mehr als die anderen), die alten Volksparteien SPD und Union müssen Federn lassen (die eine noch mehr als die andere).
Auffällig ist indes die politische Wasserscheide. Während das westliche Altbundesrepublikanien – und dort vor allem die großen Metropolen – den Grünen ihren Höhenflug bescherte, kreuzte der Osten die AfD zur Volkspartei. Die Europawahl und die Kommunalwahlen dort lassen erahnen, was sich bei den kommenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen am Wahlabend abspielen wird: ein nach oben schnellender blauer Balken.
Die SPD liegt am Boden. Weder Kevin Kühnerts Heiße-Luft-aus-der-Gruft-Nummer verlieh ihr Rückenwind, noch eine Spitzenkandidatin, die so ähnlich heißt wie ein irischer Sahnelikör und auch genauso cremig rüberkommt, aber irgendwie – halt auch nicht mehr. Daß die älteste, einst stolze Regierungspartei nun meint, programmatisch ausgerechnet noch weiter den erfolgreichen Grünen nachlaufen zu müssen, erinnert an Schiffbrüchige, die den Durst verzweifelt mit Salzwasser zu stillen trachten. Kleiner Tip: Die Sozialdemokraten in Dänemark, die in jüngster Zeit in der Einwanderungspolitik nach „rechts“ geschwenkt waren, haben bei der Wahl jetzt dazugewonnen.
Die Wahlverlierer von 2017 haben einen Lauf
Die Union steht zwar besser da als ihre großkoalitionäre Lebensabschnittsgefährtin, allerdings kehren neue Besen offenbar nicht alles auf, was vorher verschüttet wurde. Bezeichnend, daß im Adenauer-Haus pfiffige Merkelianer nun ausgerechnet den – marginalen – konservativen Rest für das maue Wahlergebnis verantwortlichen machen wollen. Und auch hier möchte man auf die Mahnung „mehr Grün“ nicht verzichten.
Tja, die Wahlverlierer von 2017 haben echt einen Lauf. Öko und smart. Und dann noch die freitäglich „futurende“ Jugend und Greta – ein echtes Überraschungsei mit Schoko und was zum Spielen – aber ohne Plastik. In Ermangelung echter Probleme, mit brummender Wirtschaft, sprudelnden Steuereinnahmen und niedriger Arbeitslosigkeit können wir uns leisten, worüber europäische Nachbarn nur den Kopf schütteln. Eine Partei zu wählen, die abstrakt das Klima zu retten vorgibt und konkret die Axt an die Wurzeln unseres rheinisch-kapitalistischen Wohlstands legt.
Und wie ist das Ergebnis der Blauen zu bewerten? Nicht Fisch und nicht Fleisch, sagen manche in der AfD. Und meinen: weder ein glänzender Sieg noch eine krachende Niederlage, sondern irgendwas dazwischen. Vom relativ schwachen Abschneiden der Union konnte man nicht übermäßig profitieren. Die Bäume wachsen nicht in den Himmel; dieses Signal sollte ankommen bei denen, die bisher in erster Linie von der Mißwirtschaft der anderen profitierten.
Prozentzahlen sind relativ
Läßt sich nun aus dem Abschneiden der AfD schon eine künftige Kursbestimmung ablesen? Sind zweistellige Ergebnisse oder gar Spitzenpositionen im Osten bereits der Beweis, daß nur eine „harte“ Linie zum Erfolg führt? Mancher behauptet das und lanciert, um diese Interpretation durchzusetzen, ein bestimmtes „Wording“, ein „Narrativ“, wie es im Polit-Neusprech heißt. So äußerte sich etwa Thüringens Landesvorsitzender Björn Höcke, Repräsentant des „Flügels“, vom bundesweiten Ergebnis der AfD „enttäuscht“, während er das eigene als „Bestätigung unseres Kurses“ feierte. Der Nadelstich des medial zuletzt etwas in den Hintergrund gerückten Thüringers gegen die Bundesspitze wird sicherlich nicht ohne Absicht erfolgt sein.
Und auf den ersten Blick schmücken die 22,5 Prozent im Freistaat wirklich ungleich mehr als die elf bundesweit. Doch wie alles im Leben sind vor allem Prozentzahlen relativ. So beißt auch keine Maus den blauen Faden ab, daß – wendet man den Blick beipielsweise auf den westlichen Nachbarn – die AfD in Hessen zwar mit 9,9 Prozent sogar unter dem Bundesschnitt blieb, aber dennoch dort mehr Wähler bei der AfD ihr Kreuzchen machten (nämlich 252.778) als in Thüringen (236.566).
Die Erfolge der AfD im Osten weisen zudem auf eine Krux. Die Partei kann – etwa beim Rennen um den Görlitzer Oberbürgermeister – sehr wohl den Spitzenreiter stellen. Indes werden die anderen jede noch so (un-)mögliche Koalition dagegen bilden. Für die AfD führt also mittelfristig kein Weg daran vorbei, bündnisfähig zu werden; will sagen: professioneller und, ja, manchmal weniger exaltiert.
Der Antagonismus wird sich noch verschärfen
AfD-Chef Alexander Gauland hatte schon am Tag nach der Wahl deutlich gemacht, wohin er die Lafetten der Seinen auszurichten gedenkt: „Die Grünen sind unser Hauptgegner!“ Das ist nicht nur als Kampfansage der neuen Alternativen an die, die früher einmal so bezeichnet wurden, zu verstehen. Es ist auch eine Absage an diejenigen innerhalb der AfD, die sich vorrangig an der Union abarbeiten möchten. Und zugleich ein Signal des westlich sozialisierten Ostverstehers aus Brandenburg: die Linkspartei in den Neubundesländern nicht als Feind, sondern als einen Konkurrenten wahrzunehmen, mit dem man um dieselben Wählerstimmen der Enttäuschten buhlt.
Grün und blau. In der Mode gilt dieser Gegensatz zu recht als überwunden. In der Politik nicht. Im Gegenteil. Diese Farben markieren einen Widerspruch, der über bloße parteipolitische Zuordnungen hinausreicht. Grün auf der einen Seite, in jeder Hinsicht „offen“, für Vielfalt und Gleichheit und die ganze Welt. Blau auf der anderen. Für gewachsene Tradition, für Grenzen, für Nationen. Dieser Antagonismus bleibt nicht nur, er wird sich noch verschärfen.