Über die katastrophalen Verhältnisse in Venezuela berichten seit Wochen alle deutschen Fernsehkanäle. Zu recht! Allerdings fehlt regelmäßig ein Hinweis: Daß der deutsche Kriegsreporter Billy Six seit dem 17. November im Gefängnis des venezolanischen Geheimdienstes SEBIN, dem berüchtigten El Helicoide (Schneckenhaus) in Caracas in Einzelhaft sitzt. Vor seiner Zellentür sitzt ein Wächter, der die Aufgabe hat, jedweden Kontakt zur Außenwelt unmöglich zu machen. Wird hier mit zweierlei Maß gemessen? Dies vermutet jedenfalls nicht nur Billys Vater Edward Six.
Am 16. Januar senden Edward und Ute Six eine E-Mail, „Hilferuf“, wie sie schreiben, an Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen). Warum der Hilferuf ausgerechnet an Özdemir? Weil der Bundestagsabgeordnete der Grünen am 22. Februar 2018 eine später von der Uni Tübingen preisgekrönte Rede im Deutschen Bundestag hielt.
Es ging um die Nachbetrachtung zur Freilassung des ehemaligen taz– und jetzigen Welt-Redakteurs Deniz Yücel, der ein Jahr in türkischer Haft saß. Özdemir sagte damals: „Wir sind froh, daß Deniz Yücel frei ist. Damit kein Mißverständnis entsteht: Genauso froh wären wir, wenn er Gustav Müller oder sonstwie heißen würde; denn jeder Bürger dieses Landes hat es verdient, daß sich dieses Land für ihn einsetzt.“
Vorwürfe gegen die Bundesregierung
Das Seminar für Rhetorik begründete übrigens die Preisverleihung folgendermaßen: „Seine Rede ist ein eindrückliches Plädoyer für eine offene Gesellschaft, gegen Ausgrenzung und Spaltung.“
Doch gibt es bisher von Özdemir keine Rückmeldung an Edward und Ute Six. Dabei schreiben die Eltern eindringlich in ihrer E-Mail davon, daß der Erfolg zur Freilassung von Deniz Yücel durch den öffentlichen Druck von engagierten Politikern, Organisationen und Medien erwirkt wurde, der Regierungen zu Lösungen zwingt und schließlich – im Fall Yücel – die Freilassung des Journalisten erwirkte.
Laut ihrem Facebook-Eintrag schrieben Billys Eltern ebenfalls auch Sahra Wagenknecht an – bisher ohne Reaktion der Linken-Bundestagsabgeordneten. So muß man konstatieren, daß sich bisher nur wenige Politiker der CDU und AfD mit Briefen an Außenminister Heiko Maas gewendet und sich um die Freilassung von Billy Six verwendet haben.
Hehre Worte über die Wichtigkeit des Journalismus und der Pressefreiheit fand auch Maas. Am 14. Januar 2019 twitterte er: „Wir brauchen die Kontrollfunktion einer freien und mutigen Presse. Wer versucht, JournalistInnen einzuschüchtern, stellt sich gegen unsere Demokratie. Pressefreiheit ist eine Basis für jede demokratische Kultur – bei uns in Deutschland und überall in der Welt.“
Wobei nicht zu unterschlagen ist, daß sich diese Twitter-Einlassung des Außenministers auf die angebliche Attacke der Identitären Bewegung auf Redaktionsräume der taz bezog. Wobei sich später herausstellte, daß der „Angriff“ aus dem Ankleben von Plakaten am Eingang des Redaktionsgebäudes bestand.
Vorwurf, die Bundesregierung sitze die Situation aus
Unabhängig vom Kontext, berief sich auf dieses Zitat wiederum der Bundestagsabgeordnete Götz Frömming, Obmann der AfD-Fraktion im Ausschuß für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung. Er setzt sich ebenfalls für Billy Six ein und schrieb am 22. Januar einen Brief an den Außenminister: „Im Falle des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, der im Februar 2017 in der Türkei inhaftiert wurde, hatte der damalige deutsche Außenminister Sigmar Gabriel schon circa eine Woche nach der Festnahme Yücels das Vorgehen der türkischen Behörden kritisiert. Später erschienen dann auf der Webseite des Auswärtigen Amtes sieben Pressemitteilungen und zahlreiche Interviews und Berichte zum Fall Yücel.“
Wer auf die Seite des Auswärtigen Amtes geht und ins Suchfeld Deniz Yücel eingibt, bekommt 40 Ergebnisse. Wer ins Suchfeld Billy Six eingibt, bekommt folgendes zu lesen: „Keine Suchergebnisse gefunden. Bitte ändern Sie Ihre Filterauswahl oder versuchen Sie es mit einem anderen Suchbegriff.“ In einem Nachtrag des Auswärtigen Amtes zur Regierungspressekonferenz am vergangenen Montag hieß es lediglich, der Haftfall werde weiterhin konsularisch betreut. „Ein zweiter Haftbesuch wurde bereits angefragt.“
Die AfD kritisiert das Krisenmanagement der Bundesregierung scharf. Zwar habe diese auf eine Kleine Anfrage des thüringischen Abgeordneten Anton Friesen geantwortet, sich förmlich für ein faires Verfahren an die Regierung Venezuelas zu wenden, bisher jedoch ohne Erfolg, obwohl die Bundesregierung behaupte, Rechtsbeistand sicherstellen zu können.
„Deutschland muß angemessenen politischen Druck ausüben, damit die Rechte unserer Bürger im Ausland gewahrt werden“, fordert Friesen, der auch im Auswärtigen Ausschuß sitzt und stellvertretendes Mitglied im Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ist. „Die Bundesregierung sollte die venezolanische Nationalversammlung als einzige legitime Staatsgewalt in Venezuela anerkennen und schnellstmöglich die Freilassung von Herrn Six erwirken!“ Es sei unverantwortlich, daß die Bundesregierung „versucht, die Situation auszusitzen“, statt die vorliegenden Probleme anzugehen.
Bis zum 2. Februar muß Anklage erhoben werden
Der mindestens als zurückhaltend zu bezeichnende Einsatz des Auswärtigen Amtes, jedenfalls wenn es sich um die Öffentlichkeitsarbeit im Fall Six handelt, könnte für den inhaftierten Deutschen gefährlich werden. Denn was die Umstände im Fall Six darüber hinaus besonders schwierig machen, sind die chaotischen Zustände in Venezuela. Das Land leidet unter einer Hyperinflation. In dem südamerikanischen Staat herrschen Hunger, Armut und Korruption. Auf der anderen Seite ist es das erdölreichste Land der Welt. Die Macht des sozialistischen Präsident Nicolás Maduro ist gefährdet. Brutale Demonstrationen aller Orten, die Hauptstadt Caracas soll durch Straßensperren abgeriegelt sein.
Der selbsternannte venezolanische Interimspräsident Juan Guaidó hat zu neuen Protesten gegen Maduro aufgerufen. Beide suchen jetzt die Unterstützung des Militärs. Das Land droht darüber hinaus Spielball internationaler politischer und wirtschaftlicher Interessen zu werden. Es droht ein Bürgerkrieg. Keine günstigen Voraussetzungen für eine Freilassung eines einzelnen ausländischen Journalisten.
Das sozialistische Maduro-Regime wirft Billy Six, der auch für die JUNGE FREIHEIT aus Venezuela berichtete, Rebellion, Spionage und Übertretung der Sicherheitszonen vor, ihm drohen 28 Jahre Haft. Six berichtete aus dem Land, das im Chaos zu versinken droht. Diese Zeitung veröffentlichte am 10. August 2018 (JF 33/18) seinen Artikel unter der Überschrift „Außer Kontrolle geraten“. Darin beschreibt er, wie Millionen von Venezolanern aus ihrem Land ins benachbarte Kolumbien fliehen. Die Berliner Zeitung, die schon länger über das Schicksal von Billy Six berichtet, vermutet, daß er sich durch diese Berichterstattung den Zorn der Maduro-Regierung zuzog und inhaftiert wurde.
Botschafter besuchte Six erstmals nach zwei Monaten
Weil Billy Six weder ein Anwalt gestellt, noch ihm Kontakt zur Deutschen Botschaft ermöglicht wurde, trat er zum zweiten Mal in den Hungerstreik. Den gab er auf, als die deutsche Botschaft ihn erstmals am 9. Januar, knapp zwei Monate nach seiner Inhaftierung, besuchen durfte. An dem Tag konnte er auch mit seinen Eltern telefonieren. Doch seitdem hat die Eltern kein persönliches Lebenszeichen ihres Sohnes mehr erreicht.
Ein weiterer Besuch der Deutschen Botschaft war für den 23. Januar 2019 abgesprochen worden. Doch dann wurde nach Informationen der Deutschen Botschaft auf diesen Tag der Prozeß terminiert. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) hatte über ihre Partner in Venezuela sogar erfahren, daß der Termin für 13 Uhr Ortszeit anberaumt gewesen sei, und hatte das Verfahren als politisch motiviert und als „Farce“ bezeichnet.
Allerdings war nicht klar, wo der Prozeß überhaupt stattfinden sollte. Auch die ROG-Partnerorganisation Espacio Público hatte trotz intensiver Bemühungen bisher keinen Zugang zu den entsprechenden Justizakten erhalten. Zudem konnte Billy Six’ Wunsch-Anwalt von Espacio Público ihn nicht besuchen.
Sicher ist jetzt, der Prozeß fiel aus. Six soll noch in Caracas im Geheimdienstgefängnis Helicoide inhaftiert sein. Bis zum 2. Februar habe die Militärstaatsanwaltschaft nach eigenen Angaben, so Edward Six, Zeit, gegen seinen Sohn Anklage zu erheben.
JF 6/19