Werter Kollege Lothar Kettenacker,
man erlebt ja nun so manches, im Rahmen jenes Kleinkriegs, den Teile des wissenschaftlichen Establishments gegen offenkundige Tatsachen in Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg führen – und gegen jeden, der sie anspricht. Ihre Besprechung meiner Ribbentrop-Biographie in der Historischen Zeitschrift ist ein so treffliches Beispiel für die teilweise niederträchtigen Methoden, mit denen dabei gearbeitet wird, daß ich als Antwort ausnahmsweise einmal die Form des Offenen Briefs wähle.
Normalerweise vermittelt eine Besprechung dem Leser einen Eindruck vom Inhalt des Buchs, zum Beispiel von den Thesen, die darin vertreten werden. Bei Ihnen allerdings steht zum Inhalt nur wenig und oft genug etwas anderes als das, was dort geschrieben steht. So wird nirgendwo im Buch behauptet, daß Deutschland „keine Bedrohung darstellte“. Im Gegenteil wird ausführlich dargestellt, daß NS-Deutschland sich isoliert hatte und von vielen als Bedrohung wahrgenommen wurde – sich allerdings auch seinerseits bedroht fühlte.
Diese Gedankenwelt kommt in den Berichten und Ratschlägen Ribbentrops an Hitler deutlich zum Ausdruck, wie im Buch ausführlich dokumentiert. Jahrzehntelang ist behauptet worden, Ribbentrop hätte die Westmächte als schwach dargestellt und zum Krieg geraten. Das Gegenteil ist richtig, wie vor Jahren teilweise auch schon Stefan Kley herausgearbeitet hat. Jede seriöse Forschung muß das zur Kenntnis nehmen, statt den Überbringer der Botschaft zu denunzieren.
Es würde Wolfgang Michalka „nirgends erwähnt“? Ein Blick ins Buch hätte Ihnen die Arbeit sicher erleichtert. Auf Wolfgang Michalka wird mehrfach eingegangen, er wird bereits auf Seite 19 im Rahmen des Überblicks über den Forschungsstand eingeführt, und seine Dissertation über „Ribbentrop und die Weltpolitik“ wird dort als „bedeutender Sprung“ gewürdigt. Im Zweifelsfall soll es schon Rezensenten gegeben haben, die wenigstens ins Personenregister geschaut haben.
Es hat Ihnen der Stil nicht zugesagt? Das können wir angesichts der offenkundigen Tatsache wohl übergehen, daß Sie das Buch allenfalls teilweise gelesen haben.
Natürlich wird nirgendwo im Buch behauptet, Widerstand als solcher sei „Landesverrat“. Es wird allerdings wahrheitsgemäß festgehalten, daß manche Männer wie Ernst von Weizsäcker im Rahmen ihrer Widerstandsaktivitäten die Schwelle des Landsverrats überschritten haben. Kein ernsthafter Historiker wird das bestreiten, und Weizsäcker hat seine Rolle in dieser Richtung ja auch freimütig bekannt.
Es käme ein Churchill-Bild zum Tragen, wie es einst Goebbels gezeichnet sehen wollte? „Angeblich trieb ihn nichts weniger um als der Wunsch nach der vollständigen Vernichtung Deutschlands“, so beschreiben Sie den Inhalt. Sie verwechseln – frei nach René Magritte gesagt – das Bild von der Pfeife mit der Pfeife selbst. Allerdings hat Churchill selbst immer wieder dieses Bild gepflegt und den Nationalsozialismus tatsächlich schon 1934 als gute Gelegenheit zur Vernichtung Deutschlands bezeichnet.
Mit seinem ständigen Gerede vom unbedingt nötigen Krieg gegen Deutschland hat er sich in Großbritannien phasenweise geradezu lächerlich gemacht. 1938 hat er die Tschechoslowakei zur Provokation dieses Krieges aufgefordert und erklärt, bei dieser Gelegenheit müsse die deutsche Wirtschaft vernichtet werden. Davon wird gern geschwiegen, insbesondere in bundesdeutschen Veröffentlichungen mit akademischem Anspruch. Um diese Informationen aber mit ins „Bild“ zu bringen, muß man sich nicht an Goebbels orientieren, es reicht, wenn man seriös arbeitet.
In der Tat ist bei mir weniger als sonst üblich von „Appeasement“ die Rede. Es läßt sich die vieldeutige Politik Neville Chamberlains mit dieser viel mißbrauchten Floskel eben nicht vollständig beschreiben. Nicht der Herr G. aus dem Reichsministerium für Propaganda stellte im Sommer 1939 fest, Hitler möge „längst den Eindruck haben, daß Großbritannien den Krieg zum jeden Preis will“. Der britische Botschafter schrieb das aus Berlin besorgt nach Hause, weil sich die durch Chamberlain de facto vollzogene Anerkennung der japanischen und italienischen Eroberungen in Asien und Afrika, zusammen mit seiner bedingungslosen Beistandspolitik gegenüber Polen und dem gleichzeitig „dröhnenden Schweigen“ gegenüber Berlin genau so deuten ließ, als Versuch nämlich, Deutschland von seinen potentiellen Verbündeten zu isolieren und in einen Krieg zu verwickeln. Daß die britische Kriegserklärung dann die Richtigkeit dieser Deutung „bewiesen“ habe, steht entgegen Ihrer Behauptung bei mir ebenfalls nicht.
Statt einer Buchbesprechung folgt im weiteren eine Eigendarstellung. Für Winston Churchill habe das von ihm selbst propagierte Motto gegolten: „Im Sieg: Großmut“. Das wäre schön gewesen. Man fragt sich, was das ausgerechnet mit Ribbentrop zu tun hat, dessen Verteidigung vergeblich versuchte, Churchill in Nürnberg als Zeugen vorzuladen, um dort großmütig die Wahrheit über seine Vorkriegsaktivitäten auszusagen. Aber die Fakten geben sowieso eine andere Auskunft. Wie sollte die Befreiung vom „Prussian Militarism“ in Europa schließlich aussehen?
Unter Churchills politischer Verantwortung plante man in London 1943/44 die physische Vernichtung Ostdeutschlands als der angeblichen Basis des Preußentums und wollte dessen Bevölkerung den Sowjets zu lebenslanger Zwangsarbeit andienen. Das kann man übrigens auch bei einem Historiker namens Kettenacker nachlesen. Es reut Sie vielleicht, daß Sie das mit offengelegt haben, doch läßt sich nichts anderes sagen als eben dies: Churchill wollte buchstäblich genau das, was er selbst gesagt hat und was im übrigen auch in der Tradition britischen Imperialdenkens fest verankert war. Er wollte die freie Verfügung über „land, liberties and even lives“. Das hat ihn allerdings nicht gehindert, später weiter an der grandiosen Selbstververharmlosung des britischen Imperialismus und der eigenen Legende zu stricken. Nicht nur „Imperatoren“ haben „aggressive Außenpolitik mit ihren defensiven Absichten begründet“.
Was sonst noch? Ribbentrop war nun einmal gegen den Rußlandkrieg, den man ihm regimeintern in der Tat als notwendigen Präventivkrieg darstellte. Nein, ich sehe mich nicht als dessen „Verteidiger“, wie Sie behaupten, sondern habe lediglich ein Erklärungsmodell für den Gang der außenpolitischen Dinge der 30er Jahre vorgelegt, in das sich Fakten integrieren lassen, die sonst regelmäßig ignoriert oder abgeleugnet werden. Und Hitler war tatsächlich Deutschlands „Staatschef“. Was Sie im Grunde offenbar stört, ist bereits jedwede neutrale Wortwahl zur Beschreibung der Vorgänge.
Insgesamt haben wir dann eine Besprechung eines Buchs, das man allenfalls teilweise gelesen hat, eine Ansammlung von Unwahrheiten über dessen Inhalt, Geschichtsklitterei über die Hintergründe der darin beschriebenen britischen Politik, verbunden mit haltlosen und rufschädigenden Spekulationen über angebliche politische Hintergründe oder sonstige Motive des Autors. Kurz und gut – eine als Buchbesprechung kostümierte Karikatur, die für ihre Zwecke ein seriöses Medium wissenschaftlicher Auseinandersetzung mißbraucht, wie es die Historische Zeitschrift traditionell eigentlich ist. Was man nicht alles erleben muß.
Grüße
Stefan Scheil