Der Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) hat unerwartete Allianzen geschaffen, die Konkurrenten und Gegner vereinten: Saudi-Arabien und Katar, zwei zuverlässige Streithähne vom Golf, und selbst so rabiate Widersacher wie die USA und der Iran sind sich näher gekommen. Sogar der syrische Präsident Baschar al-Assad, der wenig Grund hat, Washington zu loben, ließ über das Staatsfernsehen verkünden, Amerika habe Damaskus Stunden vor den Luftangriffen auf den IS „informiert“. Das ist natürlich noch keine volle Kooperation – aber ein Schritt in diese Richtung. Syrien, so hieß es, unterstütze alle „internationalen Anstrengungen“ im Kampf gegen den Terror.
Zum ersten Mal seit langer Zeit zeichnet sich die Möglichkeit ab, das Jahrzehnte alte amerikanisch-iranische Zerwürfnis zu entschärfen. Die neue Lage enthält für beide Kontrahenten Chancen und Risiken.
Die Iraner sind, ob man das will oder nicht, Partner in diesem Kampf: im Irak am Boden, wo die USA nichts mehr gegen die Präsenz von 800 iranischen Elitesoldaten einzuwenden haben. Beobachter sind der Ansicht, daß ihnen die Rettung der kurdisch-turkmenisch gemischten Stadt Amerli nördlich von Bagdad zu verdanken ist. „Wäre der Hadschi-Agha nicht gewesen, auch Bagdad wäre in die Hände von IS gefallen“, sagte der Teheraner Abgeordnete Alireza Zakani. „Hadschi-Agha“ steht für den General Kassem Suleimani, dem Kommandeur der für Sondermissionen bestimmten „Jerusalem-Brigade“ der iranischen Revolutionsgarden. Beim Kampf um Amerli zeigte sich auch, wie die Zusammenarbeit funktioniert: Die von Iranern kontrollierten Schiiten-Milizen gaben Angriffspläne den formell kommandierenden Irakern weiter, diese unterrichteten die Amerikaner – und die taten, was von ihnen zu erwarten war: Sie bombardierten.
Teheran will Gegenleistungen von Washington
In diesem Augenblick jedenfalls schien sicher zu sein, daß Iran nicht mehr zu der einst von Washington erdachten Achse des Bösen gehörte. Keine Seite will es zugeben: Amerikaner und Iraner sind im Kampf gegen die IS-Terroristen de facto Verbündete geworden. US-Außenminister John Kerry hält Teheran zwar von Konferenzen über den Irak fern, gesteht den Iranern aber „auch eine Rolle“ im Kampf gegen IS zu.
Schon im eigenen Interesse ist Teheran zur Unterstützung des Bündnisses bereit. Aber natürlich möchte Iran auch Gegenleistungen Washingtons und seiner Verbündeten sehen – vor allem im Atomstreit und durch raschere Aufhebung der Sanktionen. Diese Bedingung ist für Teheran essentiell. Präsident Rohani sagte bei der UN-Vollversammlung vor zwei Wochen vieldeutig, der Westen solle nicht ignorieren, daß Iran „über großen Einfluß in der Region“ verfüge. Gleichzeitig bemüht er sich, die schlechten Beziehungen zu Saudi-Arabien, dem großen sunnitischen Rivalen am Golf, zu reparieren.
Die neue Lage enthält für die iranische Führung neben Risiken auch Chancen: Zum ersten Mal zeichnet sich – mit der Aussicht auf Erfolg – die Möglichkeit ab, über die Beilegung des nun schon Jahrzehnte andauernden Zerwürfnisses mit den USA zu sprechen. Gelänge dies, wäre für den Iran die wichtigste Voraussetzung für die Normalisierung der Beziehungen zu einem großen Teil der Welt und damit zu wichtigen Wirtschaftspartnern erfüllt.
„Westliche Ordnungsvorstellungen mit iranischer Außenpolitik vereinen“
Irans Politik wird aus seinen regionalen Interessen geleitet. Seitdem Amerika den Iranern ihren Erzfeind, den Sunniten Saddam Hussein, vom Hals geschafft hat, war der Irak erstmals ein befreundeter Nachbar, regiert von zuverlässigen schiitischen Glaubensbrüdern, die dem wachsenden Einfluß des Iran keine Steine in den Weg legten.
Jetzt ist dieses Idyll an der 1.600 Kilometer langen Westgrenze wieder gefährdet. Ein Zerfall des Irak wäre für Iran eine Katastrophe. Volle Unabhängigkeit der irakischen Kurden würde die Tür für noch mehr Einfluß der USA (und damit auch Israels) öffnen. Auch der Blick über die Ostgrenze verdüstert sich. Zu dem vom Westen eingesetzten afghanischen Regime hat Iran beste Beziehungen. Falls nach dem Abzug der fremden Truppen die Taliban wiederkämen, wäre die Harmonie mutmaßlich zu Ende.
„Der Iran müsse sich“, kommentierte dieser Tage auch Henry Kissinger die De-facto-Zusammenarbeit zwischen Teheran und Washington, „irgendwann entscheiden, ein Land mit pragmatischen nationalen Interessen sein zu wollen und keine theokratische Bewegung mehr.“ Dann werde es „nicht mehr unmöglich sein, westliche Ordnungsvorstellungen mit iranischer Außenpolitik und iranischen Interessen zu vereinen“. Ob Obama und Rohani, die beiden Politiker an der Spitze, auf die es in diesem Fall ankommt, auf seinen Ratschlag hören?