Frank Schäffler, einer der letzten überlebenden Freiheitlichen in der FDP, hat einen Gegenvorschlag zur Anregung der stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Liberalen sollten sich zwecks Wiederbelebung einen neuen Namen geben. Schäffler will erst einmal die Parteistiftung umbenennen – von „Friedrich-Naumann-Stiftung“ in „Eugen-Richter-Stiftung“.
Eine Idee mit Charme und Hintersinn. Denn Eugen Richter war zum Ende des 19. Jahrhunderts der scharfzüngigste und hellsichtigste Kritiker von Sozialismus und Sozialdemokratie. In seinem Plädoyer für eine Ausrichtung der „neuen FDP“ an den „Werten von Eugen Richter“ erwähnt Schäffler leider nicht jene Schrift des streitbaren Liberalen, die er in einem Interview vor einigen Jahren als sein „Lieblingsbuch“ bezeichnet hat: „Sozialdemokratische Zukunftsbilder – frei nach Bebel“, erschienen 1891 und in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Ob die FDP so noch zu retten ist, mag man bezweifeln; aber Eugen Richters Buch wieder zur Hand zu nehmen, lohnt sich auf jeden Fall. Ein von Google eingescanntes Original gibt’s in einem amerikanischen Netzarchiv zu betrachten, Nachdrucke sind 2003 im Brienna Verlag und 2007 in André Lichtschlags „edition eigentümlich frei“ erschienen. Das Eugen-Richter-Institut hat eine Visualisierung für die Generation Youtube erstellt.
Enteignung, Kollektivierung, Arbeitspflicht, Kitas – alles sah Richter hellsichtig voraus
In das fiktive Tagebuch eines bis zum Schluß überzeugten Sozialdemokraten verpackt, malt Richter sich aus, wie Deutschland wohl aussähe, wenn die Beschlüsse des Erfurter Parteitags der SPD von 1891 konsequent umgesetzt würden. Heraus kommt eine Dystopie, die in vielem den ein gutes halbes Jahrhundert später gegründeten ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden vorwegnimmt.
Erst einmal werden, versteht sich, alle Immobilien und Produktionsmittel verstaatlicht, Aktien und Banknoten für ungültig erklärt – statt Geld werden Bezugsscheine ausgegeben. Um Proteste gegen die Enteignung der Sparkassenbücher niederzuschlagen und die Bauern „zur Räson“ zu bringen, die sich der Kollektivierung widersetzen, müssen freilich Polizei und Militär, soeben abgeschafft, gleich wieder eingeführt werden. „Wer den Sparaposteln der Bourgeois gefolgt ist, hat auf keine Rücksichtnahme im sozialen Staat zu rechnen“ – den Part übernehmen heutigentags allerdings nicht die Sozialisten, sondern EZB und IWF.
Im sozialistischen Staat dürfen, oder vielmehr: müssen alle arbeiten, Wohnungen und Arbeitsstellen werden staatlich zugewiesen, und: „Alle Kinder werden in Kinderpflegeanstalten und Erziehungshäusern des Staates untergebracht. Die Hauptmahlzeit ist in den Staatsküchen des Bezirks einzunehmen. Alle Erkrankten sind an die öffentlichen Krankenanstalten abzuliefern, die Leib- und Bettwäsche wird zur Reinigung in großen Generalanstalten abgeholt.“ Da ist Richter ganz nahe bei den sozialdemokratischen Zukunftsbildern frei nach Sigmar Gabriel & Genossen.
„Ham wa nich und kriegn wa och nich wieder rein“
In den staatlichen Betrieben sinkt vorhersehbar die Arbeitsmoral, Sanktionen werden aber, wenn überhaupt, vor allem aus politischen Gründen verhängt. Eugen Richter scheint einen „DDR“-HO-Laden vor seinem inneren Auge gehabt zu haben: „Ob man was kauft, ist natürlich dem Verkäufer völlig gleichgültig. Mancher Verkäufer schaut schon mürrisch drein, wenn die Ladentür aufgeht und der Verkäufer dadurch vielleicht in einer interessanten Lektüre oder Unterhaltung unterbrochen wird. Je mehr man zur Auswahl vorgelegt verlangt, je mehr man Auskunft wünscht über Beschaffenheit und Dauerhaftigkeit des Stoffes, desto verdrossener zeigt sich der Verkäufer. Ehe er aus einem andern Raum des Magazins das Verlangte hervorholt, leugnet er lieber das Vorhandensein eines Vorrates von dem Gewünschten.“
Wem die neuen Verhältnisse nicht passen, versucht in die „freien Länder“ – für den Erzliberalen Richter Großbritannien, Schweiz und die USA – zu fliehen, am Ende auch die Kinder des fiktiven Tagebuchschreibers. Die Rentner läßt man gerne ziehen, aber als die Abwanderung der Fachkräfte überhandnimmt, wird ein Auswanderungsverbot erlassen: „Dazu ist die scharfe Besetzung der Grenzen, namentlich der Seeküsten und der Landgrenzen gegen die Schweiz erforderlich. Das stehende Heer wird dazu weiterhin um viele Bataillone Infanterie und Eskadrons Kavallerie vermehrt werden. Die Grenzpatrouillen sind angewiesen, gegen Flüchtlinge von der Schußwaffe rücksichtslos Gebrauch zu machen“ – ja, Mauer und Schießbefehl gehören natürlich auch dazu.
Und das Ende vom Lied – Rationen werden gekürzt, Streiks, Bürgerkrieg. Das immerhin ist uns beim Untergang des deutschen Realsozialismus erspart geblieben. Aber einen Freisinnigen wie Eugen Richter, der die abstrusen Programme der Euro-Retter und der schwarz-rot-grün-blutroten Alt- und Neosozialisten griffig und pointiert zu Ende denkt, könnten wir heute schon wieder gut gebrauchen.