LÜTTICH. Bundespräsident Joachim Gauck hat sich anläßlich des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs vor hundert Jahren beschämt über die deutschen Kriegsgreuel gezeigt. „Dieser Krieg begann in Westeuropa mit dem durch nichts zu rechtfertigenden Überfall Deutschlands auf das neutrale Belgien“, sagte das deutsche Staatsoberhaupt bei einer Gedenkfeier in Lüttich, die an den Einmarsch deutscher Truppen am 4. August 1914 erinnert. „Dieser Überfall folgte allein der militärischen Logik.“
In einem „noch heute beschämenden Appell“ hätten deutsche Intellektuelle „die Verbrechen gegen Land und Leute, auch und gerade die Angriffe auf die Kultur“ gerechtfertigt, sagte Gauck vor Repräsentanten aus mehr als achtzig Ländern. Der Nationalismus habe „beinahe alle Herzen und Hirne verblendet“. Gauck erinnerte an den Brand der Universitätsbibliothek von Löwen. „Außerhalb Deutschlands war man entsetzt über die deutschen Truppen, vor allem über das Vorgehen gegen Zivilisten und über die Angriffe auf das kulturelle Erbe.“
Heute gelte in Europa die Stärke des Rechts
Der deutsche Schlachtplan sah eine rasche Besetzung des neutralen Belgiens mit rund 25.000 Soldaten vor. Der überraschend heftige belgische Widerstand führte jedoch zu einem tagelangen, verlustreichen Häuserkampf. „Spätestens mit dem Überfall der deutschen Truppen auf Belgien war, wie im antiken Mythos, die Büchse der Pandora geöffnet, aus der millionenfach Unglück, Elend, Verkrüppelung und Tod hervorgingen“, betonte das Staatsoberhaupt.
In diesem Zusammenprall triumphierte „extremer nationaler Egoismus über die Empathie“. Gauck mahnte für die Gegenwart ein Bewußtsein für „die zivilisatorische Leistung“ an, die darin liege, „daß kleinere und größere Mitgliedstaaten der Europäischen Union heute friedlich in Brüssel um gemeinsame Positionen ringen“. Heute gelte in Europa die Stärke des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren. (FA)