BERLIN. Zahlreiche wichtige Wirtschaftsvertreter haben vor einer Abwanderung von Unternehmen aus Deutschland gewarnt. „Die Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland hat schon begonnen“, sagte der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen, Dirk Jandura, der Nachrichtenagentur Reuters. „Die Großunternehmen verlagern, der Mittelstand leidet oder macht dicht. Das ist eine Bankrotterklärung für den Wirtschaftsstandort Deutschland.“
Vor allem energieintensive Unternehmen würden unter der jetzigen Situation leiden. „Die Kosten hier sind einfach zu hoch“, unterstrich Jandura. Ähnlich äußerte sich auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK). „Die Unternehmen hierzulande müssen in den letzten Jahren viele neue Belastungen und zu viele staatliche Eingriffe verkraften“, betonte DIHK-Chef Peter Adrian gegenüber Reuters. Das Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Deutschland habe einen Tiefpunkt erreicht. „Ein Drittel der Unternehmen plant, seine Investitionen zu reduzieren. Das sind keine guten Aussichten für zukünftiges Wachstum.“
Sofortige Wirtschaftswende nötig
Den Warnungen schloß sich der Verband der Familienunternehmer an. „Wenn nach der Bundestagswahl nicht sofort die Wirtschaftswende eingeleitet wird, werden die Unternehmen verstärkt ins Ausland abwandern“, sagte Verbandschefin Marie-Christine Ostermann. Besonders betroffen seien energieintensive Branchen und das verarbeitende Gewerbe, „die bereits jetzt mit hohen Kosten und regulatorischen Hürden kämpfen“.
Auch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sieht derzeit keine Chancen auf eine Konjunkturerholung. „Selten war die aktuelle wirtschaftliche Lage so besorgniserregend. Aus den vergangenen 100 Jahren kennen wir etliche Krisen, aber keine war so vielschichtig mit so vielen Ursachen wie die, in der wir jetzt stecken“, sagte IW-Chef Michael Hüther der dpa. „Arbeit, Material und Energie sind bei uns teuer, überbordende Bürokratie lähmt, die unsichere Lage auf dem Weltmarkt schwächt den Export, das politische Chaos im Inland die Investitionen.“
Arbeitslosigkeit wird steigen
Bereits vor Weihnachten hatte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm gewarnt, die Arbeitslosigkeit im kommenden Jahr werde steigen. „Die etablierten Branchen, in denen Deutschland weltweit führend war, stehen unter Druck“, sagte sie der Bild. „Nicht jeder wird seinen bisherigen Job behalten können.“
Konkret nannte die Professorin von der Technischen Universität Nürnberg das verarbeitende Gewerbe, in dem Arbeitsplätze abgebaut würden. Darunter fallen Betriebe, die Rohstoffe und Zwischenprodukte weiterverarbeiten. Menschen, die ihren Arbeitgeber wechseln, stellte sie zudem Lohneinbußen in Aussicht. Zugleich betonte Grimm, daß Fachkräfte gesucht würden.
Von der nächsten Bundesregierung forderte Grimm ein „Hundert-Tage-Programm“, um den Standort Deutschland attraktiver zu machen. „Dafür müssen die Lohnnebenkosten und Steuern gesenkt und Bürokratie abgebaut werden. Durch eine marktorientiertere Politik werden die Investitionen in Deutschland wieder steigen.“
Besonders die Autoindustrie leidet
Auch das aktuelle Beschäftigungsbarometer des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung bestätigt diese Aussichten. Der Anteil der Betriebe, die Arbeitsplätze abbauen wollen, steige, teilte das Institut am Donnerstag mit. Am stärksten betroffen seien die Metallbranche sowie die Autobauer und deren Zulieferer.
Zuletzt lag die Arbeitslosenquote in Deutschland laut Zahlen der Bundesagentur für Arbeit saisonbereinigt bei 6,1 Prozent. Dies entspricht der durchschnittlichen Quote zur Arbeitslosigkeit im Jahr 2016. In den Jahren dazwischen war die durchschnittliche Arbeitslosenquote stets niedriger geblieben. (ho)