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Jakobiner gegen Regionalisten

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Daß die Franzosen ein besonders enges Verhältnis zu ihrer Sprache haben, ist bekannt. In keinem anderen europäischen Land ist diese so sehr Gegenstand des öffentlichen Interesses, der Medien, der Kulturschaffenden und nicht zuletzt der Politik. Um so bedeutungsvoller ist die Tatsache, daß sich die Nationalversammlung in Paris am 21. Juli 2008 zu einer historischen Entscheidung durchgerungen hat. Im Rahmen einer weitgehenden Verfassungsänderung wurde eine Neufassung des Artikels 1 beschlossen, in der es jetzt unter anderem heißt: „Die Regionalsprachen gehören zum Erbe der Nation.“ Zuvor beinhaltete die Verfassung lediglich den lange Zeit unverrückbaren Grundsatz: „Die Sprache der Republik ist Französisch.“ Der Änderungsantrag war von elsässischen Abgeordneten der Regierungspartei UMP eingereicht worden. Im französischen Staat gibt es 75 verschiedene sogenannte „Regionalsprachen“, von denen einige nach internationaler Definition Minderheitensprachen sind. Manche gehören gar der germanischen oder keltischen Sprachfamilie an oder sind, wie das Baskische, gänzlich anderer Herkunft. Solch Minderheitensprachen widersprechen jedoch dem Grundverständnis Frankreichs als homogener Zentralstaat mit einheitlicher Sprache — der französischen Hochsprache —, neben der allenfalls Varianten geduldet werden. Die Zeitung Le Figaro relativierte vor diesem Hintergrund die Tragweite der nach Widerständen in der zweiten Parlamentskammer und seitens der altehrwürdigen Académie Française erst in zweiter Lesung vorgenommenen Verfassungsänderung: Nun „haben sich die Abgeordneten auf ein heikles Gebiet begeben: die Staatseinheit. Aber sie taten es mit solcher Vorsicht, daß ihre Initiative die strengen Verteidiger der Unteilbarkeit der Republik nicht stören sollte.“ Der Zusammenhalt der Grande Nation erscheine heute nicht mehr bedroht, schreibt der Figaro, weshalb einst undenkbare minderheitenpolitische Zugeständnisse möglich würden. Noch 1999 hatte der damalige sozialistische Ministerpräsident Lionel Jospin die „Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen“ zwar unterzeichnet, scheiterte aber mit der Ratifizierung. Der französische Verfassungsrat entschied, daß die Charta gegen die Konstitution verstoße, weil diese Französisch als alleinige Sprache der Republik vorschreibe. Der Staatsrat (Conseil d’Etat), das Beratungsorgan der Regierung für alle mit Gesetzen und Verordnungen zusammenhängenden Fragen, war derselben Ansicht, leitete daraus aber immerhin die Empfehlung ab, den entsprechenden Passus im Verfassungsartikel 2 mit der Europarats-Charta in Einklang zu bringen. Seither gibt es eine lebhafte Diskussion zwischen den Befürwortern einer sprachlichen Regionalisierung und den Anhängern eines strikten Zentralismus, die vor „babylonischen Zuständen“ warnen und ethnische Spaltungen nach dem Muster des Balkans heraufbeschwören — so etwa der frühere Innenminister Jean-Pierre Chevènement. Letztere argumentieren außerdem, daß in einer Zeit, da auch das international einst so weit verbreitete Französisch Gefahr laufe, vom allgegenwärtigen Englisch in wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Zusammenhängen völlig verdrängt zu werden, die Unterstützung von Regionalsprachen eine Verschwendung von Steuermitteln sei. Auch Ex-Präsident Jacques Chirac legte gemäß der „jakobinischen“ Traditionen dar, warum Frankreich die Charta keinesfalls ratifizieren könne: denn diese bedrohe, so Chirac, die „Unteilbarkeit der Republik“, die „Gleichheit vor dem Gesetz“ und die „Einheit des französischen Volkes“, da sie „Sonderrechte an organisierte Sprachgemeinschaften“ verleihen könne. Offiziell gibt es in Frankreich überhaupt keine ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten, sondern nur französische Staatsbürger mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Besonderheiten. Die Wurzeln des Selbstverständnisses als homogene Staatsnation liegen — anders als im traditionell partikularistischen Deutschland — in der Entwicklung der französischen Nationalstaatsidee aus einem frühzeitig dominierenden zentralen Königtum. Im Unterschied zum ethno­kulturell begründeten östlichen Nachbarland haben die Franzosen ihre Nation nach der Ära Napoleons I., der noch das „Blutsrecht“ (ius sanguinis) favorisiert hatte, in erster Linie auf  gemeinsame Wertvorstellungen, Institutionen und politische Überzeugungen aufgebaut. Seit einigen Jahren mehren sich nun die Stimmen, die angesichts der fortgesetzten Massenzuwanderung und der drohenden Überfremdung durch Nord- und Schwarzafrikaner, Türken und andere ethnische Gruppen eine zumindest tendenzielle Abkehr vom Territorialprinzip und der „citoyenneté“ hin zum Abstammungsprinzip fordern. Doch noch ist man, zumindest dem Gesetz nach, Franzose, wenn man auf dem Boden des Landes lebt und Französisch spricht, was die Teilhabe am politischen und wirtschaftlichen Leben ermöglicht. Daß von den insgesamt 59 Millionen Staatsbürgern rund 15 Millionen auch eine zweite, historisch verankerte  Regionalsprache sprechen, war dagegen bislang nachrangig, vielfach gar verpönt. Für die annähernd eine Million Elsässer und ihren deutschen Dialekt oder die etwa 800.000 Italienischsprachigen rund um Nizza hatte das weitreichende negative kulturelle Konsequenzen. Die Zahl jener Menschen zwischen Atlantik und Mittelmeer, Pyrenäen und Vogesen, die im Alltag eine Minderheitensprache gebrauchen, ist seit Jahrzehnten stark rückläufig. Als am widerstandsfähigsten erwies sich wohl das Korsische, dessen Verwendung als Identitäts- und Unterscheidungsmerkmal von den starken autonomistischen Kräften der Mittelmeerinsel mit einigem Erfolg propagiert wird. Bis heute ist Frankreich neben Andorra das einzige europäische Land, das das erwähnte Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten noch immer nicht unterzeichnet hat, obwohl eine solche Zustimmung zu den Grundbedingungen für weitere EU-Beitrittskandidaten gehört. Der nicht nur bis zur Französischen Revolution, sondern viel weiter zurückreichende jahrhundertelange Kampf gegen kulturelle und sprachliche Vielfalt auf dem eigenen Territorium hat sich tief im Bewußtsein verankert, so daß der Tolerierung der in den 1970er Jahren entstandenen regionalistischen und nationalistischen Bewegungen oder der diversen regionalen Schulvereine enge Grenzen gesetzt sind.  Abgesehen von den Überseedepartements und den vielen Sprachen der Zuwanderer gibt es im französischen Staatsgebiet folgende Minderheitensprachen im eigentlichen Sinne: Korsisch, Baskisch, Katalanisch, Bretonisch, Okzitanisch, Italienisch, Niederländisch (in Französisch-Flandern) und Deutsch (im Elsaß und in Ost-Lothringen). Das auch als Provenzalisch bezeichnete Okzitanisch, das in den südfranzösischen Landschaften Provence, Gascogne und im Languedoc einst weit verbreitet war, ist inzwischen vom Aussterben bedroht, und auch die anderen Nicht-Staatssprachen gelten als mehr oder weniger gefährdet. So bezeichneten noch in den 1950er Jahren über eine Million Menschen Bretonisch als ihre Muttersprache, heute sind es nur noch rund 250.000 meist ältere Personen. Die totale Einverleibung des Elsaß hat bereits eine jahrhundertelange Geschichte. Schon der Dreißigjährige Krieg und die anschließenden Réunionskriege, die im 17. Jahrhundert zur Annexion weiter Landesteile durch Frankreich führten, sowie die Französische Revolution, die einen Großteil der Oberschicht geistig zum Franzosentum überwechseln ließ, hatten die Region zwischen Rhein und Vogesen von Deutschland entfremdet. Doch erst die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts, insbesondere die verhängnisvolle nationalsozialistische Herrschaft von 1941 bis 1945, führten letztlich dazu, daß sich der umkämpfte Landstrich ganz dem französischen Erbteil zuwandte. Der Gebrauch der deutschen Sprache einschließlich der angestammten Dialekte wurde danach von Paris aus durch rigide Vorschriften bekämpft und immer weiter zurückgedrängt. Mittlerweile gibt es im östlichen Grenzland nach Jahrzehnten kultureller Entfremdung immerhin Signale, die darauf hindeuten, daß Elsässerdeutsch und Lothringerplatt vielleicht doch eine Zukunft haben. Neben den Aktivisten einer „elsässischen Renaissance“ — beispielsweise Dichtern wie Adrien Finck und Vereinen wie „Kultur und Zweisprachigkeit“ oder der René-Schickele-Gesellschaft — sind in diesem Zusammenhang vor allem das Fortbestehen eines regionalen Sonderbewußtseins, die Entdeckung der deutschen Dialekte für die Musik (einschließlich der Jugendkultur) sowie die etwa 50.000 elsässischen Berufspendler ins Bundesgebiet zu nennen. Nach der jüngsten verfassungsrechtlichen Auswertung der Regionalsprachen fordert die Organisation „Kultur und Zweisprachigkeit“ nun konkrete Maßnahmen. Im kommenden Jahr solle dazu von Paris ein Gesetz ausgearbeitet werden, das den Regionalsprachen einen „wirklichen Platz“ im öffentlichen Leben einräumt, verlangte der Präsident der Vereinigung, François Schaffner. Als Aufgabenbereiche benannte er Schulen und Hochschulen, Medien, die Wirtschaft und das Berufsleben. Mit ihm hoffen Millionen Bretonen, Flamen, Italiener, Basken und Korsen darauf, daß sich die Entscheidung vom 21. Juli als politischer Dammbruch zugunsten ihrer Minderheiten erweist und der altbekannte Pariser Zentralismus bald der Vergangenheit angehört.   Stichwort: René Schickele-Gesellschaft / „Land un Sproch“ Auf den Ideen des Elsässer Schriftstellers René Schickele (1883 bis 1940) aufbauend, der sich zeitlebens für die Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich eingesetzt hatte, wurde 1968 die René-Schickele-Gesellschaft gegründet. Ziel der Gesellschaft ist die Förderung der französisch-deutschen Zweisprachigkeit unter Einbindung des Dialekts. Sprachrohr ist die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift „Land un Sproch“. Info:https://site.voila.fr/alsacezwei oder postalisch: Culture et Bilinguisme d’Alsace et de Moselle, 5 Boulevard de la Victoire / Niklausring, F-67000 Strasbourg Foto: Sitzung der französischen Nationalversammlung am 21. Juli 2008 und Exemplar der Elsässer Zeitschrift „Land un Sproch“: Die Regionalsprachen gehören zum Erbe der Nation

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