All den Publikationen, die seit einiger Zeit unter der Marke „Neuer Feminismus“ ins Rennen geschickt wurden, muß man eines zugute halten: Dieses schicke oder wenigstens schick-sein-sollende Etikett ist eine Fremdzuweisung. Was sich da neofeministisch artikuliert, erweist sich als reichlich heterogenes Pamphletentum. Nicht einmal die Gegnerschaft zum herkömmlichen Feminismus vom Schlage einer Alice Schwarzer ist jenen Neuerscheinungen gemein, die jüngst eine ganze Schar von Publizistinnen im Alter zwischen 25 und 42 Jahren zu Markte trug. Die größte Nähe zu den ewigen Emma-Themen und -Einsichten weist das umfangreiche „Weißbuch Frauen / Schwarzbuch Männer“ des österreichischen Autorinnenduos Sibylle Hamann und Eva Linsinger auf. „Warum wir einen neuen Geschlechtervertrag brauchen“, wollen die beiden Journalistinnen erklären. Das geschieht prägnant und gestützt auf ungezählte bereits bekannte Umfragen und Statistiken. Alles schon mal gehört: daß Hausfrauen den Staat mehr kosten als nützen, daß Frauen „immer noch“ weniger verdienen als Männer – warum wohl? Immerhin geben die Autorinnen zu, daß die Sachlage hier sehr kompliziert ist -, daß mit dem Kult um die Demographie eine erneute patriarchale Morgendämmerung anbreche. Wohlfundiert (natürlich auf Erkenntnissen emanzipatorischer Gender-Forschung) und sprachlich souverän singen die Autorinnen das alte Lied von der Benachteiligung der Frau. Neu ist daran im wesentlichen das Erscheinungsdatum – 2008 halt. Eine Generation zukünftiger bewegt sich das Autorenkollektiv der „Alphamädchen“, die darlegen wollen, „warum Feminismus das Leben schöner macht“. Demnach sei Feminismus – inklusive Quotenfrau und „positiver Diskriminierung“ zu Lasten der Männchen – zuvörderst ein, ja, cooler und geiler Lebensstil: sexy eben. Die „Alpha-Girls“ wurden kürzlich von der US-Soziologie erfunden. Sie geben sich nach dieser Vorlage relativ ideologiebefreit (also etwa „sex-positiv“) und agieren mit „durchdachtem Zorn“: „Wir gehen nicht wegen jedem Scheiß auf die Hürden“, bringt das Co-Autorin Meredith Haaf, als 24jährige die jüngste Neufeministin im Bunde, auf den Punkt. Hier schon sticht die Rede von „uns Mädchen“ ins Auge. Überdeutlich wird jene harmlose Verkleinerungsform im Buchtitel der Frühdreißigerinnen Jana Hensel und Elisabeth Raether: Als „neue deutsche Mädchen“ gerieren sich die beiden affärenbelasteten Wahlberlinerinnen. Wie ihre neofeministischen Mitschwestern haben sie in einem großen Publikumsverlag ihre Gedanken zum Frau- bzw. Mädchensein veröffentlichen dürfen. Wer einige Rezensionen gelesen hat oder gar Ohrzeuge des herablassenden Deutschlandradio-Interviews mit den beiden großen Mädels wurde, ist von vornherein gnädig, wenn nicht mitleidig gestimmt. Dabei macht die Lektüre doch ärgerlich: So voll ist der Mund, den die Autorinnen nehmen, wenn es gegen den alten Feminismus geht, der angeblich das Private ausgespart habe, und so klein der Geist, der ihre Homestories aus Bett, Küche und Café durchweht. Neuer Feminismus, nach dieser Diktion auf den Punkt gebracht, heißt vor allem: offen sein, das Innerste entbergen. Dabei ist das Sprichwort doch älter als der älteste Feminismus: Wer zu allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein. Ein spezielles Karussell auf diesem Entbergungs-Rummel fährt die 30jährige Ex-Viva-Moderatorin Charlotte Roche. Zum einen, weil sie statt eines wie auch immer gearteten Sachbuchs einen Roman („Feuchtgebiete“) veröffentlicht hat, der jetzt vielfach den Aufhänger zu all den Auslassungen zum „Neuen Feminismus“ darstellt. Nun könnte man diese analfixierte Kot-und-Speichel-Geschichte, erzählt aus der Perspektive der 18jährigen Nymphomanin Helen, mit Fug und Recht irgendwo zwischen Sodom und Gomorrha lokalisieren und vornehm darüber hinweggehen. Immerhin hat Kiepenheuer & Witsch, der beileibe nicht zimperliche Verlag, bei dem Roche eigentlich unter Vertrag steht, das Manuskript als „zu pornographisch“ abgelehnt. Von literarischen Qualitäten kann ohnehin keine Rede sein. Allerdings: Seit seinem Erscheinen vor gut zwei Monaten ist dieser Alptraum über Verwendungsmöglichkeiten sämtlicher weiblicher Sekrete mehr als eine halbe Million Mal über die Ladentheke gegangen. Der Online-Buchhändler Amazon führte es eine Zeitlang gar als meistverkauftes deutschsprachiges Buch. Roches Vorlesetournee läßt kaum einen Ort aus, die rar gewordene Freizeit verbringt die Mutter einer Fünfjährigen mit Interviews, um die sie unablässig angefragt wird. Wer da angesichts des globalen Erfolges von Daniel Kehlmanns Roman „Die Vermessung der Welt“ von einem „neuen Bildungshunger“ sprach, sieht die Wißbegier der Leserschaft um eine ziemlich monströse Perspektive erweitert: Vermessen werden bei Roche Körperöffnungen und die Litermengen Duschwasser, die hier und dort hineinpassen. Menstruationsblut, Nasenschleim und immer wieder das anale Exkrement bilden hier die Masse, an der sich die (durch eine gewagte Intimrasur) ans Krankenhausbett gefesselte Protagonistin erregt. Etwa 70 Prozent ihres Buches seien autobiographisch, sagt Roche, die ihr Werk selbst als „Masturbationslektüre“ bewirbt. Das wirft letztlich ein trauriges Licht auf ihre grenzenlos enthemmte Schreibmotivation. Nicht nur der Grundton des Buches (Psychiater sprechen angesichts solcher Fixierung auf den Anus und seine Ausscheidungen von „Koprophilie“), sondern auch zahlreiche Details in dieser Geschichte eines seelisch verletzten Scheidungskindes legen nahe, daß hier ein Trauma verarbeitet wurde, das Roche vor sieben Jahren durchlitten hatte – wenn man nicht davon sprechen will, daß der gesamte Lebenshintergrund des Shooting-Stars einer ausdrucksstarken Bewältigung harrt: Damals sind bei einem Autounfall drei Brüder der Autorin ums Leben gekommen, während ihre Mutter schwerverletzt überlebte. Mutter Roche, vier Ehen hinter sich, ist eine Durch-und-durch-Feministin. Nach einer Erziehung gemäß Emma-Richtlinien-Kompetenz mußte die rebellierende Tochter als Fünfzehnjährige das Mutterhaus verlassen. Blutige Selbstverletzungsrituale und Drogengeschichten verhalfen ihr dann zu einer Art Selbstfindung, an deren Ende nun die Erkenntnis steht, daß die selbsterlebte Scheiße (in diesem Fall muß man das so sagen) mal auf den Tisch gehöre. Daß das nun affirmativ geschieht – nun, Seelenkundler kennen dieses Symptom der positiven Aneignung von leidvoll Erlebtem. Etliche Belegstellen jenseits des Fäkalen oder sonstwie Abgefuckten verweisen auf arge seelische Pein: etwa das immer wieder zur Sprache kommende Familientabu, daß Helens Mutter einst den eigenen Sohn mit in den Tod nehmen wollte. Oder Helens mutwillige Sterilisation gleich mit dem Eintritt in die Volljährigkeit, obgleich sie sich, „seit ich denken kann“, ein Kind wünschte. Weiter Helens eigenwilliger Umgang mit Schmerzen. Nicht zuletzt die typische Symptomatik der ernstzunehmenden Zeitgeist-Krankheit Borderline: „Mir macht das Alleinsein Angst. Zählt bestimmt zu meinen Scheidungskindbeschwerden. Ich würde mit jedem Idioten ins Bett gehen, damit ich nicht allein im Bett sein muß. Jeder ist besser als keiner.“ Was nun hat all dies mit dem Phantom eines „Neuen Feminismus“ zu tun, als dessen Flaggschiff Roches Buch ausgerufen wird? Die Zuweisung geht ungefähr so: Roche ist, privat wie als Phänomen, Tochter des „alten Feminismus“, für den die Kampfgenossinnen Alice Schwarzers stehen. Mithin Frauen, die unter anderem sexuelle Ausbeutung und Pornographie bekämpften. Aus diesem Boot war Roche ausgestiegen, kurz nachdem sie vor ein paar Jahren als gepierctes und tätowiertes Titelmädchen für eine generationelle Ausweitung bzw. Verjüngung der Emma gestanden hatte. Daß Alice Schwarzers alte und jüngst aufgefrischte PorNo!-Kampagne ihr zuwider war, hatte sie beizeiten klargestellt. In Thea Dorns „Die neue F-Klasse. Wie die Zukunft von Frauen gemacht wird“ (2006), gewissermaßen ein „Neuer Feminismus“-Klassiker, träumt sie von der Eröffnung eines Bordells, eines Begleitservice und eines Swinger-Clubs speziell für Frauen. Für Grimme-Preisträgerin Roche, gewissermaßen personifizierte Ausgeburt des alten Feminismus, reduziert sich das neufeministische Dagegensein auf den sexuellen Aspekt, also: harter, „ehrlicher“ und unverbrämter Koitus anstelle der altfeministischen Schadensbegrenzung durch Kampagnen und Paragraphen. Das Edelfeuilleton fügt sich artig und hochbemüht dieser Sicht: Eckhard Fuhr beglaubigte anerkennend in der Welt, Roche habe den Faden dort aufgenommen, wo der Feminismus ihn vor 30 Jahren fallengelassen habe, und in der FAZ (die den Roman mehrfach breit thematisierte) lieferte Ingeborg Harms gleich eine Mini-Dissertation zu diesem gefühlten „Crash-Kurs in Sachen Verführung“. Demnach wird Roches literarische „Sensation“ irgendwo zwischen Bachtin, Freud und Richard Sennett eingeordnet und wohlwollend als „Hybrid des Feminismus“ etikettiert. Aus der akademisch überladenen Verschwurbelung übersetzt heißt das in etwa: Eine Frau wie Helen alias Charlotte Roche zeigt uns, daß auch – und gerade, nämlich im Gegensatz zu den sterilen „Next Topmodel“-Weibern – eine ungewaschene, hämorrhoidengeplagte Frau nicht nur sexuell aktiv, sondern extrem begehrenswert sein kann: soviel zum angeblichen Manifest des „Neuen Feminismus“. Als Frage bleibt offen, warum ein so zahlreiches Publikum das lesen will. Vielleicht trifft sich hier Roches Publikum mit der Leserschaft des erklärten Feindblattes der Autorin: Bei einem ihrer ungezählten Harald-Schmidt-Auftritte tat Charlotte ihren Abscheu gegenüber der Bild per T-Shirt-Aufdruck kund. So schließt sich am Ende der Kreis. Stichwort: Hauptwerk des „Neuen Feminismus“ „An welchen Rollenmodellen sollen sich Frauen orientieren, jenseits der überzogenen Forderungen, jede müsse Karriere machen und gleichzeitig das deutsche Volk vor dem Aussterben bewahren?“ Der Klappentext des Buches „Die neue F-Klasse – Wie die Zukunft von Frauen gemacht wird“ fragt, und Thea Dorn sowie elf weitere „Meinungsmacherinnen“ von Maybrit Illner über Silvana Koch-Mehrin bis zu Charlotte Roche gaben ihre Antworten. Das Werk der Schriftstellerin Thea Dorn gilt als Klassiker des „Neuen Feminismus“ (Piper-Verlag, München 2007, kartoniert, 352 Seiten, 9 Euro). Charlotte Roche: Feuchtgebiete. DuMont-Buchverlag, Köln 2008, gebunden, 220 Seiten, 14,90 Euro Sibylle Hamann, Eva Linsinger: Weißbuch Frauen/Schwarzbuch Männer. Deuticke-Verlag, Wien 2008, gebunden, 288 Seiten, 19,90 Euro. Meredith Haaf, Susanne Klingner, Barbara Streidl: Wir Alphamädchen. Warum Feminismus das Leben schöner macht. Hoffmann und Campe, Hamburg 2008, broschiert, 256 Seiten, 19,95 Euro Jana Hensel, Elisabeth Raether: Neue deutsche Mädchen, Rowohlt Verlag, Reinbek 2008, gebunden, 208 Seiten, 16,90 Euro Foto: Autorin Charlotte Elisabeth Grace Roche: Ein Buch irgendwo zwischen Sodom und Gomorrha