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Die SPD und die Nation

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In der SPD tobt – von der Öffentlichkeit kaum registriert – ein Kulturkampf um die Deutung ihrer Tradition. Dabei geht es um nichts geringeres als das patriotische Erbe der Partei. Zugespitzt hat sich dies aktuell an einer Entschließung zum Verhältnis der SPD zu studentischen Burschenschaften. In etwas abgeschwächter Form hat der Bundesvorstand der SPD einen jüngst auf Initiative linksgerichteter Jungsozialisten gefaßten Parteitagsbeschluß zur Unvereinbarkeit einer Mitgliedschaft bei den Sozialdemokraten und in einer Burschenschaft vollzogen. Wer sich in einer Korporation des Verbandes Deutsche Burschenschaft engagiere, müsse wegen des dort vorherrschenden „völkischen“ und „großdeutschen“ Weltbildes mit einem Parteiordnungsverfahren rechnen, legte die SPD-Führung am 16. Januar fest und verzichtete damit auf einen formellen Unvereinbarkeitsbeschluß. Mit der Entschärfung des Abgrenzungsbeschlusses sind die Parteilinken unzufrieden: Die Einzelfallentscheidung sei eine „belanglose Gewissensberuhigung“, so der Bundesvorsitzende der Jungsozialisten, Björn Böhning. Der Vorstand drücke sich damit „vor einer offensiven Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus“. Das Thema „Burschenschaften“ dürfte für die Sozialdemokraten ein eher randständiges sein; doch immerhin hat die Auseinandersetzung über den Kreis der „Betroffenen“ – Sozialdemokraten wie Korporierte – hinaus ihren Niederschlag in der Berichterstattung gefunden. Das mag daran liegen, daß der von den Antragstellern zum sozialdemokratischen „Wert“ erhobene Antifaschismus einerseits und die offenkundigen Schwierigkeiten der Parteiführung andererseits, dies ohne Abstriche nachzuvollziehen, eine gewisse inhaltliche Diskrepanz erkennen lassen. Sind die Burschenschaften rechts(extrem), weil sie sich ohne Zweifel prononciert national geben? Und heißt links (oder sozialdemokratisch) demzufolge anti-national zu sein? Die nationale Bewegung des neunzehnten Jahrhunderts auf das liberale Bürgertum – und damit nicht zuletzt auf die Burschenschaften – zu beschränken, wäre eine historische Verkürzung, wie Peter Brandt in seinem Werk über „Sozialdemokratie und Nation“ feststellte. Die Arbeiterbewegung als Keimzelle der SPD sah im Nationalstaat die politische Basis der Revolution. Und so nimmt es nicht wunder, daß der SPD-Führer August Bebel im Reichstag an die Adresse der Konservativen gerichtet ausrief: „Wir verteidigen … unser Vaterland nicht ihnen zuliebe, sondern ihnen zum Trotz!“ Für die Zeit der Weimarer Republik können Namen wie Philipp Scheidemann oder Paul Löbe genannt werden, der den Versailler Vertrag als „traurigsten Abschnitt der deutschen Geschichte“ bezeichnete und die Sozialdemokraten auf die „Wiedergeburt des deutschen Volkes“ einschwor. Nicht zu vergessen ist auch, daß es der Sozialdemokrat Friedrich Ebert war, der 1920 das Deutschlandlied zur Nationalhymne erkor. Nach nationalsozialistischer Schreckensherrschaft und Zweitem Weltkrieg trat der Sozialdemokrat Kurt Schumacher am vehementesten für die Wahrung deutscher Interessen gegen die der Alliierten ein. Von ihm stammt der Satz, „unerträglich aber ist die Methode, jeden Versuch deutscher Selbstbehauptung als Nationalismus verdächtigen zu wollen“. Und die ersten beiden sozialdemokratischen Bundeskanzler, Willy Brandt und Helmut Schmidt, bestritten ihre erfolgreichen Wahlkämpfe mit schwarz-rot-goldenen Plakaten unter dem Motto: „Deutsche, ihr könnt stolz sein auf unser Land“ und „Modell Deutschland“. Egon Bahr brachte es 1982 in einem Zeit-Artikel auf den Punkt, in dem er feststellte: „Wenn ein Deutscher sagt, die Nation spiele keine Rolle mehr, dann seien Sie mißtrauisch. (…) Entweder ist er dumm, oder er ist falsch, und beides ist gefährlich. (…) Es ist überhaupt kein Zweifel, daß die Nation als Vorstellung und Wille und als Identifizierungskörper wieder ins politische Bewußtsein rückt.“ Auch Juso-Chef Böhning sind die seinen Intentionen zuwiderlaufenden Wurzeln der SPD nicht unbekannt. Es sei wahr, gab er in einem Interview zu, „daß nationale Ideologien in der Geschichte der SPD durchaus vertreten waren“, nur müsse man sich heute davon „klar abgrenzen“. Wenn also die vom antifaschistischen Furor gepackten Jungsozialisten – und mit ihnen die Mehrheit des Karlsruher SPD-Parteitags – diese Distanzierung für notwendig erachten, vollziehen sie eine Umdeutung der historischen Substanz ihrer Partei. Denn es war beileibe keine Minderheit in der SPD, die sich zu Nation und Vaterland bekannten. Es hieße also jenem reaktionären Diktum nachträglich zum (unverdienten) Durchbruch ins historische Gedächtnis zu verhelfen, stellte man die Sozialdemokraten grundsätzlich als „vaterlandslose Gesellen“ hin – auch wenn damit aus Sicht einiger Linker heutzutage eine positive Konnotation verbunden ist. Kluge Linke haben schon in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts erkannt, daß es ein Fehler der 68er gewesen ist, das Thema Nation kampflos der bürgerlichen Rechten zu überlassen, obwohl diese in Wahrheit viel eher kapitalistisch und daher global orientiert sei. So stellte der sozialdemokratische Intellektuelle Tilman Fichter fest: „… wenn es uns nicht gelingt, die soziale und nationale Frage mittelfristig positiv zu verknüpfen, bleibt der Sozialismus … ein interessantes Randphänomen“. Vor allem begehen die Traditionsstürmer einen strategischen Fehler: Denn in den meisten Fällen hat die SPD gerade dann an Wählerzustimmung verloren, wenn sie sich anti-national gab. Kein geringerer als ihr Ehrenvorsitzender Willy Brandt hat dies im Dezember 1990 deutlich gemacht, als er auf einer Vorstandssitzung dem damaligen Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine die Hauptschuld an der Niederlage in den ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen gab. Brandt warf dem linken Saarländer, dem er zuvor anläßlich der Feierstunde am 3. Oktober demonstrativ den Handschlag verweigerte, vor, in der deutschen Einheit „eher eine Bürde als eine Chance“ gesehen zu haben. Die Verknüpfung von nationalem mit sozialem Interesse haben einige führende Sozialdemokraten wiederentdeckt: Hervorstechendstes Beispiel ist die Schelte Gerhard Schröders gegen „unpatriotische“ Unternehmer, die trotz hoher Gewinne ihre Produktionsstätten ins Ausland verlagern. Mag dies auch ein populistisches Wahlkampfmanöver gewesen sein: Nur der Nationalstaat bietet einen gewissen Schutz vor den negativen Auswüchsen der Globalisierung. Gerade weil sich die Union mit ihrem Kurs in Richtung „mehr Markt, mehr Europäisierung“ den letzten Wahlsieg verbaute, muß die SPD, um Erfolg zu haben, zweierlei sein: links und national.

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