In einem Tagesbefehl schrieb ein Wehrmachtsgeneral über eine SS-Einheit, die bei der Abwehr eines sowjetischen Angriffs bis zum letzten Mann untergegangen war: „In Ehrfurcht stehen wir vor solchem Heldentum.“ Ein anderer bekannte: „Wie ein unerschütterlicher Fels hat die Waffen-SS im Heer gestanden.“ Dieser oft widerwilligen Bewunderung, die Führer der Wehrmacht der Truppe mit dem Totenkopf entgegenbrachten, entsprach der legendäre Ruf, den sie auch beim militärischen Gegner genoß. Kein Zweifel: Mit der Waffen-SS hatte eine Truppe die Schlachtfelder des 20. Jahrhunderts betreten, wie sie die Kriegsgeschichte bisher noch nicht gekannt hatte. „Hier“, so resümierte der SS-Experte Heinz Höhne, „kämpfte ein Kriegertum, das von keiner anderen Truppe erreicht oder gar übertroffen wurde.“ Zum Mythos – diesmal im Bösen – wurde die Waffen-SS aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg, als das Nürnberger Tribunal mit den anderen Bereichen aus Heinrich Himmlers Imperium auch die Waffen-SS pauschal zur „verbrecherischen Organisation“ stempelte. Die Frontsoldaten der Waffen-SS sahen sich über Nacht mit KZ-Aufsehern auf eine Stufe gestellt. Selbst manche Wehrmachtsoffiziere, die nur wenige Jahre vorher erleichtert aufgeatmet hatten, wenn neben ihnen die stählernen Korsettstangen der SS-Divisionen die wankende Front stabilisierten, rückten vom einstigen Waffenbruder ab. In dem Bestreben, ihre Einheit zu rehabilitieren, stritten auch ehemalige SS-Offiziere jeden politischen Hintergrund ihrer Truppe ab: Die Männer der Waffen-SS seien nur „Soldaten“ gewesen „wie andere auch“. Politischer Faktor der Truppe läßt sich nicht übergehen Doch ganz läßt sich der „politische Faktor“ nicht übergehen. Am Anfang ihrer Entstehungsgeschichte stand ein Bedürfnis nationalsozialistischer Politik Pate: Gleich nach der Machtergreifung Hitlers hatte man aus Angehörigen der Allgemeinen SS bewaffnete Gruppen gebildet, eine Art gepanzerter Faust der NS-Führung für Eventualitäten in der schwierigen Phase der Konsolidierung ihrer Macht. Hitlers eigene „Stabswache“ war ein solcher Verband. Er verlieh ihr seinen Namen: „SS-Leibstandarte Adolf Hitler“, abgekürzt LAH. Gleichzeitig mit der Wiedereinführung der Allgemeinen Wehrpflicht (1935) erließ Hitler auch den Befehl über die Aufstellung einer größeren „SS-Verfügungstruppe“ (VT). Neben die LAH sollten zwei weitere Regimenter treten. Diese Verfügungstruppe wurde aus ihrem Status einer Untergliederung der NSDAP herausgelöst und staatlich legitimiert. Eine eigene „Inspektion“ sollte Aufbau und militärische Ausbildung der SS-Regimenter überwachen. Hier tat sich für die SS jedoch ein Dilemma auf. Jetzt waren nicht „alte Nationalsozialisten“ gefragt, sondern militärische Profis, Technokraten der Kriegskunst. Man fand diese Profis in Berufsoffizieren der Reichswehr. An die Spitze der VT trat Paul Hausser, ein erfahrener Reichswehrgeneral a.D. Er begann seine SS-Karriere mit dem Aufbau einer eigenen Offiziersschule, der SS-Junkerschule in Braunschweig. Dort setzte er zunächst den hohen militärischen Standard durch, der die Reichswehr ausgezeichnet hatte. In München, Hamburg, Berlin (und bald auch in Wien) entstanden derweil die ersten vier Regimenter. Aus dem Kreis der Kommandeure schälte sich bald ein junger Oberst als der eigentliche Motor einer SS-eigenen Militärreform heraus, Felix Steiner. Im Ersten Weltkrieg hatte er sich am Erlebnis der Schwerfälligkeit des Massenheeres ernüchtert und einen neuen, revolutionären Typ des Soldaten am Horizont erkannt. Als Reformer war er bei der Reichswehrführung angeeckt und hatte 1933 den Dienst quittiert. Bei der SS konnte er demonstrieren er, wie er sich den Soldaten der Zukunft vorstellte. Er drängte den mechanischen Kasernenhofdrill zurück und forderte den Soldaten nicht nur auf dem Schieß- sondern auch auf dem Sportplatz das Letzte ab. Steiners Traum-Infanterist kam jenem phantastischen Typus nahe, den Ernst Jüngers „Stahlgewitter“ beschrieb: verschlagen, stark und voller Entschlußkraft, mitleidlos gegen sich und andere, eine vollkommen neue Rasse, Sturmsoldaten, „die Elite Mitteleuropas“. Aus Haussers Beherrschung der traditionellen Kriegskunst und aus Steiners reformerischem Elan entstanden so das Führer- und Unterführerkorps – und der Typ des SS-Grenadiers, der der Truppe in den Kriegsjahren seinen Stempel aufdrückte. Personelle Schwierigkeiten hatte die neue Truppe nie. Die Faszination einer Eliteformation, die neuartige Ausbildung und die rauschhafte Zustimmung der deutschen Jugend zum Reich Adolf Hitlers brachten Bewerber in so großer Zahl, daß der Truppe strengste Auswahlprinzipien möglich blieben. Politische Gesichtspunkte stellten sich kaum: Bereits in der Freiwilligkeit der Meldung gerade für diese Truppe lag ja die Zustimmung zum neuen Staat. Die hohen Ansprüche nivellierten die Unterschiede zwischen Mannschaften und Führern. Der systematische Sportbetrieb und das körperliche Training, die ständigen Wettkämpfe, an denen sich Mannschaften wie Offiziere beteiligten, schliff das Dienstgradgefälle von störenden Ecken und Kanten frei. Neu war auch das System der Führerauslese: Die Offiziersanwärter brauchten keines der üblichen Privilegien für ihre künftige Laufbahn mitzubringen, soziales Herkommen und Bildungsnachweise waren nicht entscheidend. Ein sozialer Sortiereffekt entstand: Bürgertum und Großstädter gaben ihre Söhne der Wehrmacht ab, die SS-Verfügungstruppe entwickelte sich zu einer „Handwerker- und Bauernarmee“. Auch in Ausrüstung und Ausbildung schlug der Reformgeist durch. In Erinnerung blieben nach 1945 ihre Kriegsverbrechen Im August 1938 wurde die SS-Verfügungstruppe endgültig als stehende Truppe in Friedens- und Kriegszeiten anerkannt. Sie sollte im Mobilmachungsfall für die Verwendung im Rahmen des Feldheeres bereitstehen. Doch immer noch blockierte die Wehrmacht die Abgabe von Wehrpflichtigen an die SS. Ein Verwaltungsgenie im SS-Hauptamt fand den Ausweg: Er interpretierte ältere Hitlerbefehle um, die SS-Chef Himmler erlaubt hatten, bis zu 50.000 Mann der „Allgemeinen SS“ als „Polizeireserve“ einzuberufen, die dann in der Wehrmacht nicht zu dienen brauchten. Jetzt konnte sich die SS das Personal für drei bis vier SS-Divisionen beschaffen. Aus der Verfügungstruppe konnte die Waffen-SS werden. Noch 1939 wurden drei Divisionen aufgestellt. Die „Leibstandarte“ wurde zur 1. SS-Panzerdivision „Leibstandarte-SS Adolf Hitler“ verstärkt. Mitte 1940 gebot die Waffen-SS bereits über 100.000 Soldaten. Aber über die Freigabe der SS-Freiwilligen entschied die Wehrmacht so restriktiv wie eh und je. Das SS-Ergänzungsamt richtete deswegen seinen Blick über die Grenzen des Großdeutschen Reiches: Vor allem in den mit dem Reich verbündeten Staaten Südosteuropas lebten Hunderttausende wehrfähiger deutscher Männer, Volksdeutsche, deren nationales Empfinden außer Zweifel stand. Die ersten 1.000 Mann aus der Volksgruppe der Siebenbürger Deutschen holte die SS heimlich aus Rumänien heraus – als Wanderarbeiter getarnt. 1941 gelang es dann, mit den Regierungen Südosteuropas Abkommen zu schließen, nach denen Volksdeutsche ihren Wehrdienst in der Deutschen Armee abzuleisten hatten. Über 350.000 Volksdeutsche kamen so in die Reihen der Waffen-SS. Als nach dem Frankreichfeldzug das Rekrutierungsreservoir auch noch auf Staaten West- und Nordeuropas ausgedehnt worden war, quollen die Annahmestellen der Waffen-SS auch dort bald über. Schon in den ersten beiden Jahren kamen aus diesen Ländern 120.000 Freiwillige: 50.000 Holländer, je 20.000 Flamen und Wallonen, 20.000 aus Frankreich. Dänemark und Norwegen stellten je 6.000. Im Verlauf des Rußlandkrieges kamen noch an die 200.000 Letten, Litauer und Esten, Ukrainer und Russen, Kaukasier und Angehörige der Balkanvölker dazu. Vor allem für diese Freiwilligen war der Antibolschewismus ein bestimmendes Motiv. Für die ersten „germanischen“ Kontingente galt das weniger, denn im Spätsommer 1940 waren Moskau und Berlin noch quasi Verbündete. Viele dieser Freiwilligen kamen tatsächlich aus einer weitverbreiteten latent „faschistischen“ Stimmung, zumal sie den rapiden Zusammenbruch der angeblich jeder anderen Staatsform überlegenen westlichen Demokratien unter der federnden Siegesgewißheit der Armeen des Dritten Reiches als Augenzeugen erlebt hatten. Aber erst der Krieg gegen das bolschewistische Rußland brachte das Klima, in dem die Elitetruppe weiter anschwellen konnte. 1943 zählte sie 540.000 Mann und Ende 1944 schließlich fast eine Million. Freilich strömten in diese Mammutarmee auch dubiose Elemente ein, so zweifelhafte Verbände wie beispielsweise die aus Wilddieben, Wehrstraffälligen und Kriminellen zusammengesetzte Sturmbrigade des Oskar Dirlewanger. Zusammen mit Einheiten, die aus KZ-Wachmannschaften gebildet waren, waren sie die Steine des Anstoßes, von denen dunkle Schatten auf das Nachkriegsbild der SS fielen. Das Eindringen und das Vorhandensein jener Elemente und die Radikalisierung der Kriegführung machten einzelne Truppenteile auch für Kriegsverbrechen anfällig. Das traf vor allem auf den Partisanenkrieg und auf das gnadenlose Gemetzel in Stalins Sowjetunion zu. Und selbst im weltanschaulich kühleren Westen griffen subalterne Truppenführer der Schwarzen Garde gelegentlich nach brutalen Maßstäben durch. Das Kriegsverbrechen im französischen Oradour steht stellvertretend für diese berüchtigte Phase der Kriegführung. Doch mit dem eigentlichen „Geist“ der Truppe hatten diese Ausschreitungen nicht immer etwas zu tun. Nach 1945 führten diese Kriegsverbrechen und die Aura der Nähe zur allgemeinen SS der Konzentrationslager dazu, daß die dunkle Seite dieser Armee die historische Rezeption immer stärker dominieren sollte. Foto: 1945 in Kriegsgefangenschaft geratener Waffen-SS-Soldat: Die von Freund und Feind gefürchtete Truppe entwickelte sich aus einer Parteiarmee beinahe zum Millionenheer, zum Schluß 38 Divisionen, eine davon die 10. SS-Panzerdivision Frundsberg, in der Günter Grass diente. In Nürnberg 1946 wurde die Waffen-SS als verbrecherische Organisation verurteilt. Die 1952 auch aus Gründen der politischen Taktik abgegebene „Ehrenerklärung“ von Bundeskanzler Konrad Adenauer sowie eine Formulierung des SPD-Politikers Kurt Schumacher von 1951 wurden insbesondere von Waffen-SS-Veteranen oft als moralische Rehabilitation gedeutet.
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