MAARAT AN-NUMAN. Es geht nicht im Guten auseinander. Jemanden bei sich aufgenommen zu haben, der jedoch bekundet, kein Feind der Juden zu sein, macht Mohamed Abu Islam rasend wütend. „Höre mal, Du mußt noch richtig lesen und zuhören, um zu verstehen, wer die Juden sind und was sie mit uns machen!“
Ob bei den alawitischen Assad-Soldaten von Kasab, in den sunnitischen Hochburgen der Aufständischen wie Maarat an-Numan oder eben auf dem Lande bei den Beduinen (Abu Duhur): In ihrer politischen Feindschaft gegen den Staat Israel sind sich alle Syrer einig. Mohameds jahrelanger Aufenthalt in Leipzig hat daran nichts geändert. Auch wenn er immer wieder seine Liebe zu Deutschland bekundet: Letztlich ist er stolz, sich erfolgreich von den „Ungläubigen“ abgegrenzt zu haben.
Er selbst habe sogar eine deutsche Frau vor dem Höllenfeuer bewahrt, die sexuelles Interesse in seinem Dönerladen bekundet habe. Nach der islamischen Heirat sei sie konvertiert, habe dem Alkohol abgeschworen und den Schleier angelegt. Über die heftigen Auseinandersetzungen mit seiner Erstfrau redet er jedoch nicht. Darüber spricht nur der „Buschfunk“ – und über die Frage, was wirklich geschehen ist, gehen die Auffassungen weit auseinander. Einig ist man sich nur über zwei Dinge: Die deutsche Frau ist tot. Die syrische sitzt im Gefängnis. Zurückgeblieben ist ein Mann, der von sich selbst sagt: „Mein Herz ist jetzt krank.“ Vielleicht auch deshalb, weil es schwer zu verarbeiten ist, daß sich Allahs Erlaubnis, bis zu vier Gattinnen ehelichen zu dürfen, in der heutigen Praxis wenig bewährt hat.
Versteckter Haß in der arabischen Gesellschaft
Tlaydschina, nur wenige Kilometer weiter: In dem 1.000-Einwohner-Dorf seßhafter Beduinen, in Sichtweite zum Militärflughafen Abu Duhur, ist die Stimmung schon wieder viel positiver. Ein deutscher Gast, zumal in diesen unruhigen Zeiten – das hat Seltenheitswert. Eine Projektor-Präsentation mit Fotos aus aller Welt wird gerne gesehen. Zwar bleibt der Hinweis, Bilder unverschleierter Frauen wären „haram“, also im Islam verboten, nicht aus. Und doch besteht die angenehme Stimmung fort, ja wird anders als andernorts gar vertrauensvoll.
Schuldirektor Mohamed Aid spricht offen über Probleme im Volk, über welche aus Sorge um das Ansehen der Revolution gegenüber Ausländern sonst nicht gesprochen wird: „Als die Polizei schon nicht mehr in den Straßen gewesen ist, starben am 04. Juli 2011 sieben Männer durch einen Familienzwist.“ Die Geschichte ist alt – und im Übrigen nicht ungewöhnlich. Bemerkenswert ist allenfalls, daß es sich um eine Auseinandersetzung innerhalb desselben Stammes, der Bakhara, handelt.
Seinen Anfang nahm der Fall vor vielen Jahren. Damals, als Familie Hussein Land an Familie Hassan verkaufte. Ein Geschäft, das per Handschlag besiegelt worden sei – Normalität in der Provinz. Mit steigendem Bevölkerungsdruck und der angestrebten Durchsetzung eines Katasterwesens durch die Regierung hätten Husseins versucht, den Handel rückgängig zu machen. Eine Rückübertragung zum alten Preis? Für Hassans ausgeschlossen! Im Zuge einer Hochzeitsfeier 2006 wäre der Konflikt zum Politikum geworden, so Mohamed Aid. „Als die jungen Männer die fremden Mädchen sahen, fühlten sie sich genötigt, ihre Kraft unter Beweis zu stellen. Einem Autowettrennen folgten böse Worte und später Prügeleien mit Stöcken.“
Die Regierung habe den Scheichs freie Hand gegeben, das Problem zu lösen. Die Väter hätten versprochen, ihre Sprößlinge zur Räson zu bringen – ein Abkommen auf Zeit. Bereits wenig später sei Tlaydschina Schauplatz einer erneuten Auseinandersetzung geworden. Streitpunkt diesmal: Ein Basketballspiel.
Die allgemeine Unruhe habe auch der alten Familienfehde neuen Nährboden geboten – bis zum Äußersten. Der junge Ismael al Hussein habe seinen früheren Freund Faisal al Hassan auf offener Straße niedergestochen. Fluchtartig hätten rund 200 Angehörige der Hussein-Familie ihren Heimatort verlassen. „Es ist eine schlechte Beduinentradition“, so der Rektor, „aber es darf als Antwort irgendein Mann der gegnerischen Seite umgebracht werden.“ Die Polizei habe den Mörder freilich festgenommen, ihn jedoch nach anderthalb Jahren wieder auf freien Fuß gesetzt. „Solange Du nichts gegen Baschar al-Assad und seine Leute sagst, kannst Du in Syrien tun und lassen was Du willst“, so Aid, der selbst auf der Gehaltsliste des Staates steht.
Diese Gewalt hat mit Assad nichts zu tun
Dann die Revolution: Durch unglückliche Umstände treffen beide Seiten auf der Landstraße aufeinander. Hassan-Mitglieder verfolgen das Auto der Husseins. Beide Seiten rufen ihre Verwandten telefonisch um Hilfe. Beim Feuergefecht sterben vier Hassans und zwei Husseins. Ein fünfter Hassan wird von einem Unbekannten vom Motorrad geschossen. Der Aderlaß unter den Hassans steigert den Haß ins Unermeßliche: Die Familie übernimmt die Hoheit in Tlaydschina und reißt die verlassenen Häuser der Husseins mit einer Planierraupe und Hämmern nieder. So man die Trümmer im Straßenzug auseinander halten kann, dürfte es sich um mindestens drei lang gestreckte Gebäude handeln, die eingeebnet worden sind.
„Immerhin“, so der Lehrer, „hat niemand die Gräber geschändet. Das ist ein wichtiges Gebot in unserem Islam!“ Und im Übrigen eines, das nicht vom Stammesführer, sondern vom Imam durchgesetzt worden ist.