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Ein unabhängiger Kopf

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Die Venus von Milo: Eine Geschichte des Zeigens und Verdeckens Foto: Wikipedia/Jastrow

Der Ethnologe Hans Peter Duerr kann auf ein imposantes Gesamtwerk zurückblicken. Mit der Arbeit über den „Erotischen Leib“ wurde er auch über die Grenzen seines Faches hinaus bekannt. In einer immensen Fleißarbeit, Teil einer Reihe über den „Mythos vom Zivilisationsprozeß“, zeigte Duerr – opulent illustriert mit vielen Bildern –, daß in der Neuzeit in vielen Kulturen quer über den Erdball von einer „Tabuisierung der Brüste“ keine Rede sein könne.

Weder für traditionelle noch für moderne Gesellschaften gibt es Duerrs Meinung zufolge Hinweise, daß es diesen in signifikanter Weise gelungen sei, den „animalischen Trieben“ Einhalt zu gebieten. Die vorher gängige Setzung des Soziologen Norbert Elias (1897-1990), vorneuzeitliche  Gesellschaften seien tendenziell deutlich gewaltbereiter gewesen als moderne, in denen sich alles zum Besseren wandele, lasse sich nicht pauschal verifizieren. Das viktorianische Zeitalter sei weder für europäische noch für außereuropäische Kulturen repräsentativ.

Schamgefühl als transkulturelle Universalie

Der Ethnologe Duerr analysierte detailliert BHs innerhalb und außerhalb Europas. Gleichfalls erörtert er akribisch die verschiedenen Weisen des Umgangs mit den Brüsten sowie ihres Zeigens und Verdeckens, wiederum für verschiedene Kulturen. Auch der Frage, warum weibliche Brüste überhaupt als erotisch empfunden werden, ging der Privatgelehrte. Insgesamt stellt er als Ergebnis seiner Forschungen vor, daß es sich beim Schamgefühl um eine transkulturelle Universalie handelt. In diesem Punkt traf er sich mit dem Ethologen Irenäus Eibl-Eibesfeldt, der zusammen mit Konrad Lorenz auf die biologischen Grundlagen menschlicher Existenz hinwies.

Noch imuniversitären Bereich beschäftigt, verwies Duerr die Thesen Elias’ ins Reich der Legenden – und köpfte so einen Säulenheiligen der Achtundsechziger. Vor diesem Projekt, das er in den 80er Jahren in Angriff nahm, verzeichnete Duerr einen Erfolg mit seiner Veröffentlichung „Traumzeit“. Darin befaßte er sich in umfassender Weise mit nichtcartesianischen und mythischen Deutungen der Welt. Derartige Untersuchungsgegenstände entpuppten sich als ideale Vorarbeiten einer Sichtweise, die weitverbreitete Vorstellungen eines wie immer gearteten Zivilisationsprozesses mittels einer ungeheuren Fülle an Beobachtungen und Forschungsergebnissen zerstören wollte.

Der Konservative als Speerspitze der Avantgarde

Duerr galt für einige Zeit als Mitläufer der politischen Linken und bekleidete etliche Jahre eine Professur für Ethnologie an der Universität Bremen. Die Unabhängigkeit war ihm jedoch wichtiger, so daß er sich gern in den vorzeitigen Ruhestand versetzen ließ. Duerrs Fachkollege Thomas Bargatzky charakterisierte ihn einmal überaus freundlich. Duerr sei das „Muster eines Gelehrten, der klassische Konservative, der inzwischen so obsolet geworden ist, daß er gleich wieder die Speerspitze der Avantgarde bildet“.

Der Jubilar, der heute 70 Jahre alt wird, darf als ein schönes Beispiel für einen unabhängigen Kopf gelten, der sich trotz jahrelanger Arbeit im oft stromlinienförmigen universitären Kontext nicht verbogen hat.

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