Im April 1875 präsentierte sich eine Handvoll junger französischer Künstler mit einer eher improvisierten Gruppenausstellung erstmals der Pariser Öffentlichkeit. Der jährliche Salon als das etablierte Sprungbrett, um Beachtung auf dem nationalen Kunstmarkt zu finden, erschien ihnen weitgehend verschlossen. Nur zu selten hatten die überwiegend traditionell ausgerichteten Juroren von ihnen eingereichte Werke passieren lassen. Das Kalkül, eigene Wege zu gehen, um sich durchzusetzen, wollte allerdings in kaufmännischer Hinsicht nicht sogleich aufgehen. Der künstlerische Durchbruch und die sich auch in Kaufpreisen niederschlagende Wertschätzung ließen noch eine Weile auf sich warten.
Immerhin wurde aber der Name der Bewegung, an deren Wiege die Künstler standen, anläßlich der Ausstellung kreiert. „Impression – soleil levant“, Claude Monets eher als Verlegenheitslösung gewählter Titel für eine Ansicht des im Nebel liegenden Hafens von Le Havre, forderte den Spott eines der zahlreichen Kritiker heraus. Er taufte die Gruppe auf den Namen „Impressionisten“, was die Betroffenen jedoch als einen gar nicht einmal abwegigen Begriff für ihre Intentionen betrachteten und sich daher zu eigen machten.
Heute, soundsoviele Avantgarden und Retrogarden später, ist die herablassende bis zuweilen schrille Ablehnung, auf die Monet und seine Malerfreunde unter den zeitgenössischen Meinungsführern des etablierten Kunstbetriebs und des Feuilletons gestoßen sind, kaum noch nachzuvollziehen. Längst werden die Impressionisten mit geradezu biedermeierlicher Behaglichkeit als Augenschmaus rezipiert, der allein an den Schönheitssinn des Betrachters appelliert und ihm kein ehrfürchtiges Eingehen auf dahinter stehende und mit wachsendem Zeitabstand immer unverständlicher erscheinende philosophische Fragestellungen abverlangt.
Der Publikumserfolg, den Ausstellungen von noch dem 19. Jahrhundert verhafteten Künstlern immer wieder und immer mehr erzielen, kommt daher nicht von ungefähr, und es überrascht auch nicht, daß sich manche Museen heute die Frage stellen, ob in ihren Archiven nicht Bilder eingelagert sind, die auf ein viel größeres Zuschauerinteresse stoßen würden als die derzeitigen, von den früh in die Jahre gekommenen Bewegungen des 20. Jahrhunderts geprägten Präsenzausstellungen.
Auch die große Monet-Werkschau, die im Von-der-Heydt-Museum in Wuppertal bis Ende Februar zu sehen ist, verspricht ein außerordentlicher Publikumsmagnet zu werden. Dies erscheint um so wahrscheinlicher, als diesem Künstler, der wie wohl kein anderer den französischen Impressionismus verkörpert, in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie eine das Gesamtwerk präsentierende Ausstellung vergleichbaren Zuschnitts gewidmet worden ist.
Die Initialzündung, die die Retrospektive in dieser Form erst möglich machte, ist eine Vereinbarung mit dem Pariser Museum Marmottan Monet gewesen, das 40 Exponate beisteuerte. Im Gegenzug sind derzeit expressionistische und fauvistische Werke aus dem Wuppertaler Bestand an der Seine zu sehen.
Die Marmottan-Leihgaben bilden das Kernstück der insgesamt 80 Gemälde und 20 Zeichnungen, die gezeigt werden. Sie füllen das Gros der Wandflächen und prägen auf diese Weise zwangsläufig den Eindruck, den der Besucher auf seinem Rundgang gewinnt. Dieser Eindruck ist jedoch leider keiner, der Monet unbedingt gerecht wird. Den Grundstock des Marmottan-Museums bildet der Nachlaß des Künstlers, in dem dessen Spätwerk dominierte. Dieses wiederum war bereits zu seinen Lebzeiten unter den Weggefährten und Liebhabern des Impressionismus alles andere als unumstritten. Um 1890 hatte sich der zu diesem Zeitpunkt knapp 50jährige Monet darauf verlegt, seine Landschafts- und Architekturmotive immer wieder aufs neue zu variieren, um ihre unterschiedliche Erscheinung je nach Lichtstimmung einzufangen. Flüchtig ausgeführt, geraten diese Serienbilder nicht nur unbeabsichtigt an die Schwelle zur Abstraktion.
Im Zusammenhang präsentiert, wie es in Wuppertal mit einer beispielhaften Auswahl geschieht, reduzieren sie auch die Aufmerksamkeit des Betrachters auf das bloß Dekorative. Mit ebendiesem Effekt spielte über ein halbes Jahrhundert später Andy Warhol, indem er, eher affirmativ als ironisch, mit seinen Farbvariationen diverser Motive die Grenzen zwischen auf das Zimmerinterieur abgestimmtem Wandschmuck aus dem Postershop und Malerei mit dem Gütesiegel der Hochkultur verschwimmen ließ. Das völlige Zurücktreten der Form zugunsten von Farbe und Licht spitzt sich in den letzten Lebensjahren Monets zu, als Blumen aus dem mit Bedacht angelegten heimischen Garten in Giverny seine bevorzugte Inspirationsquelle geworden sind.
An der Relevanz dieser Werke scheiden sich in typischer Weise die Geister. Wer von der Warte des 20. Jahrhundert zurückschaut und nach Meilensteinen auf dem Weg in die Moderne sucht, kann im greisen Monet den fulminanten Experimentator ausmachen, der nicht ganz ans Ziel gekommen ist. Wer jedoch seine Werke aus den Jahrzehnten zwischen 1860 und 1890 für die maßgeblichen hält, sucht eher nach Entschuldigungen für den Qualitätsverlust.
Tatsächlich ist ein Unterschied zwischen dem „jungen“ und dem „alten Monet“ zwar in der Ausführung, nicht jedoch in der Absicht auszumachen. Ihn leitete das Interesse, momentane Eindrücke festzuhalten. Monet erzählt keine Geschichten, gibt keine ikonographischen Rätsel auf und führt auch nicht, nicht einmal unbeabsichtigt, als Chronist in unterdessen untergegangene typische Lebenswelten ein, dazu sind seine Motive schlichtweg zu beliebig. Der auserkorene Ausschnitt der ihn umgebenden Wirklichkeit wird lediglich auf die Leinwand gebannt, so wie er als Betrachter ihn spontan wahrnimmt, ohne dabei nach akribischer Erkundung eine fotografisch getreue Abbildung anzustreben.
Schon Zeitgenossen äußerten sich irritiert angesichts seiner malerischen Herangehensweise, die jeden Deutungsversuch abperlen ließ, und vermißten das Gefühl der Ergriffenheit in der Betrachtung von Monets Schnappschüssen in Öl. Manchem Besucher der Wuppertaler Ausstellung, der den Vergleich mit anderen Schulen und Strömungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts anstellt, mag es heute ähnlich ergehen.
Claude Monet, Die roten Boote, Argenteuil (Öl auf Leinwand, 1875): Schnappschüsse in Öl
Claude Monet, Brücke über den Seerosenteich (Öl auf Leinwand, 1899); Pappeln an der Epte (Öl auf Leinwand, 1891): Der Maler erzählt keine Geschichten, gibt keine Rätsel auf
Die Ausstellung ist bis zum 28. Februar 2010 im Wuppertaler Von der Heydt-Museum, Turmhof 8, täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, zu sehen. Der Katalog kostet 25 Euro. Internet: www.von-der-heydt-museum.de ; www.monet-ausstellung.de