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Gewissensfragen

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Mit genau zwei Jahren Verspätung ist Andrzej Wajdas Epos „Das Massaker von Katýn“ nun auch in Deutschland zu sehen: In Polen hatte der Film bereits am 17. September 2007 Premiere, dem Jahrestag des sowjetischen Einmarschs in Ostpolen. Nun kommt er rechtzeitig zum Gedenken an den Beginn des Zweiten Weltkriegs in den Westen und hat auch prompt Unbehagen verursacht.

Auf dem Filmfestival von Locarno wurde der Regisseur vermutlich durch russischen Druck in den Hintergrund gedrängt (JF 35/09), als ihm sowohl die große Leinwand wie auch Pressekonferenzen verweigert wurden. Immerhin gilt der 83jährige Andrzej Wajda als die große Vaterfigur des polnischen Kinos und als bedeutendster filmischer Chronist der polnischen Geschichte. Seit seinem Debüt im Jahr 1955 hat der Oscar-Preisträger eine stattliche Anzahl von Filmen gedreht, die international als Meisterwerke gefeiert wurden, von „Asche und Diamant“ (1957) über „Der Mann aus Eisen“ (1981) bis zu „Korczak“ (1990).

Wajdas Filme haben eine dezidiert nationale Ausrichtung, und auch „Das Massaker von Katýn“ scheut sich nicht, den ermordeten Offizieren von Katýn ein zuweilen pathetisches Denkmal zu setzen. Bezeichnenderweise übernahm der nationalkonservative polnische Präsident Lech Kaczyński eine Art Ehren-Schirmherrschaft über den Film.

Trotz aller Vorbehalte gegenüber einseitigen polnischen Märtyrergeschichten eröffnet „Das Massaker von Katýn“ eine alternative Perspektive auf den Zweiten Weltkrieg, die im Westen gerne unterschlagen wird. Der Film zeigt ganz unverblümt, wie Kommunismus und Nationalsozialismus als Backen ein- und derselben Zange funktionierten, um Polen zu zerquetschen. Die zynische Heuchelei der beiden Regime verdeutlicht Wajda mit Ausschnitten aus Propagandafilmen: identisches Material von der Öffnung der Massengräber im Frühjahr 1943, nur jeweils mit einem anderen Kommentar versehen, der die „typischen Mordmethoden“ einerseits der „Bolschewisten“ und andererseits der „faschistischen Gestapo-Mörder“ anprangert.

Auch die sowjetische Okkupationspolitik der Nachkriegszeit wird ins Bild gerückt: Die Familienangehörigen der Opfer von Katýn, die sich weigern, mit den Tätern zu kollaborieren und die Lüge von der Schuld der Deutschen zu unterstützen, werden Repressalien ausgesetzt, deportiert oder gar getötet.

Das eigentliche Massaker zeigt der Regisseur erst zum Schluß: In einer gewaltigen Sequenz wird minutiös die Fließbandarbeit des Tötens reinszeniert. Das letzte Bild: Eine tote Hand, die einen Rosenkranz umklammert, wird mit Erde zugeschüttet. Die Szene blendet ab ins Schwarze, und die requiemartige Musik Krzysztof Pendereckis erklingt.

Allzu platt auf eine „Botschaft“ hingespitzte dramatische Momente wie dieser sind die Schwachpunkte eines etwas langatmigen Alterswerks, das nur in einer Handvoll Szenen die frühere Meisterschaft des Regisseurs spüren läßt. Abträglich wirkt sich auch aus, daß die deutschen Verleiher den in drei Sprachen gedrehten Film synchronisiert statt untertitelt herausbrachten. Dadurch kommt es zu absurden Momenten, in denen etwa ein SS-Mann auf deutsch spricht, ein Dolmetscher polnisch übersetzt und eine polnische Generalswitwe wiederum auf deutsch antwortet. Die Russen sprechen in Dialogszenen untereinander hochdeutsch, deutsch mit einem künstlichen „osteuropäischen Akzent“, wenn sie zu den Polen sprechen, und original russisch im Vorübergehen. Das ist eine Behandlung, die der Film nun wirklich nicht verdient hat.

Trotz seiner Schwächen spürt man den Patriotismus und die Ehrfurcht, aber auch die persönliche Anteilnahme des Regisseurs: Wajdas Vater war Offizier der polnischen Kavallerie und wurde 1940 von den Sowjets ermordet. Der junge Kunststudent in dem Film, der wie Wajda selbst den Krieg im Untergrund verbracht hat, ist unverkennbar ein Alter ego des Regisseurs. Mit dieser Figur spielt er eine biographische Möglichkeit durch: Der Student, Sohn eines Katýn-Opfers, lehnt sich gegen die Russen auf und kommt auf der Flucht zu Tode, nachdem er ein sowjetisches Plakat abgerissen hat.

Darin mag man auch eine Gewissensbefragung des greisen Wajda sehen, der nicht nur in dieser Szene zeigt, daß im besetzten Nachkriegspolen der Opportunismus oberstes Überlebensgebot war.

Foto: Filmszene: Ein Denkmal für die ermordeten Offiziere

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