Passend zur diesjährigen neunzigsten Wiederkehr des auf die Demütigung der Besiegten ausgelegten „Friedensschlusses“ von Versailles hat das kleine französische Internetlabel La Caverne Du Dragon den dreiteiligen Sampler „Tribute To The Dead Soldiers (1914–1918)“ veröffentlicht. Auf der frei herunterladbaren Kollektion geben sich ingesamt 70 Musikprojekte vorwiegend europäischer Herkunft die Ehre, um den Gefallenen ein musikalisches Denkmal zu setzen. Die beiden Inhaber des Labels, zwei aktive Musiker, sehen sich selbst als „nationalistische Intereuropäer“. Sie wollen die Erinnerung an ihre gefallenen Urgroßväter hochhalten, betonen das gemeinsame europäische Erbe der ehemals verfeindeten Nationen und erteilen gleichzeitig der Entmachtung der Nationalstaaten durch Brüssel eine Absage.
Die musikalischen Beiträge sind größtenteils dem Neofolk- und Martial-Industrial-Genre zuzuordnen. Einige wenige Lieder auf dem Sampler sind zwar grob mißglückt, wie das von einem vierminütigen Lärmgewitter eingeläutete „Il Fante Affardellato“ der italienischen Industrial-Formation Corazzata Valdemone, doch allgemein dominieren tragische Akustikstücke oder heroisch-militante Elektronikkompositionen, die sauber produziert und sorgfältig ausgewählt eine sehr dichte, ehrerbietige Stimmung erzeugen.
Erwähnenswert ist das wuchtige „Singt eisern!“ des deutschen Projekts Gabe Unruh, das mit Samples aus der alten Verfilmung von „Im Westen nichts Neues“, vermischt mit Granateneinschlägen und MG-Feuer, die patriotische Begeisterung der deutschen Jugend zu Kriegsbeginn spiegelt, die im Sperrfeuer der Westfront ihr jähes Ende fand. Bei Nihil Novi Sub Sole aus den Niederlanden darf in dem Lied „Tannenberg 1914“ zu einer verhaltenen Ambient-Collage Paul von Hindenburg zu Wort kommen, der von seinen Erinnerungen an die Tannenbergschlacht berichtet und an den Zusammenhalt des Volkes appelliert.
Eine eher romantisch-tragische Schiene fahren die deutschen Art Abscon(s) mit „Roses Of Picardy (Glory And Sacrifice)“, Pale Roses aus Frankreich mit „The Bowmen“ oder Kunstgerecht aus Australien mit „Died Before Their Time“ – allesamt melancholische Hymnen an den ungeheuren Blutzoll aller europäischen Völker im Ersten Weltkrieg. Das laut Selbstbeschreibung auf „Tradition, Transzendenz, Natur, Glaube und Kraft“ ausgerichtete Duo Spreu & Weizen präsentiert mit „Heimkehr“ ein sehr obskures Stück, in dem hypnotische Trommeln die manische Stimme Paula Wesselys aus dem nationalsozialistischen Propagandafilm gleichen Titels von 1941 untermalen, die im Finale eine pathetische Rede über „das deutsche Wesen“ hält.
Eine düstere Weltuntergangsstimmung vermittelt das Stück „Stechschritt 1914“ des deutschen Projekts Seuchensturm, in dem zum dumpfen Dröhnen der heranwalzenden Kriegsmaschine ein namenloser Sprecher „Deutsche Zucht und Ordnung – Im Stechschritt durch die Jahrhunderte!“ skandiert. Von der anderen Seite der Front, aus Frankreich, melden sich Barbarossa Umtrunk mit der Ernst-Jünger-Hommage „Orages d‘Acier“ zu Wort, die Zitate aus den „Stahlgewittern“ mit Geschützdonner und Samples aus alten deutschen Tanzfilmen mischt.
So entsteht insgesamt ein alptraumhafter akustischer Wirbel der würdigen Gemahnung an Europas tote Söhne.