Guten Morgen Amerika“, tituliert der 1988 von ambitionierten Sängern gemeinsam mit Fritz ter Wey gegründete Projektchor Modus Novus seine neue CD-Veröffentlichung bei Valve-Hearths. Daß der Chor vorzüglich singt und keinerlei Wünsche an Tonschönheit und Reinheit des Klanges offen bleiben, sei vorab mitgeteilt. Denn die Sensation dieser zwei Veröffentlichungen ist die Musik des 1900 geborenen Ernst Krenek, einem Jung-Star der zwanziger Jahre, der zunächst vergessen, dann wieder ein bißchen wiederentdeckt wurde und 1991 nahezu unbekannt verstorben ist. Am Ende seines Lebens umfaßte sein Werkverzeichnis 242 Stücke. Viele blieben nahezu unbekannt und sind doch von einer phänomenalen künstlerischen Qualität. 1938 – Hälfte des Lebens. Die ersten Jahre des Exils liegen tief verdunkelt zwischen Zweifeln und Verzweiflung. Es gibt kein Zurück mehr, Europa ist ferne, Krenek muß eine Sprache lernen, die er früher als „vollkommen unzulängliches Kommunikationsmittel“, als „unlogisch, primitiv und barbarisch“ empfand. In Amerika hat man Krenek als one-man-history of 20th century music bezeichnet. Es wäre ein Ding der Unmöglichkeit, seine Suche nach musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten einem einheitlichen Stil unterzuordnen. „Einer der rätselhaftesten aller Komponisten“ nannte Theodor W. Adorno (bei ähnlicher biographischer Ausgangslage in den Nachkriegsjahrzehnten auf dem Gebiet der Musik und von ähnlich einflußreicher Wortmächtigkeit wie heutzutage jener Literaturkritiker aus dem Fernsehen) den Komponisten, der immer unterwegs zu neuen Ufern und dabei rastlos tätig war. Krenek komponierte nicht zuletzt immer wieder seine Liebe zu Deutschland und seine Verachtung für Amerika in einer Weise aus, daß man als Hörer in schmerzhafter Unmittelbarkeit die gigantischen Verluste an Kultur und Kunst zu ahnen beginnt, die das blutige 20. Jahrhundert in ganz Europa hinterlassen hat. Die „Kantate von der Vergänglichkeit des Irdischen“ benutzt Barockdichtungen aus dem 30jährigen Krieg von Gryphius, Fleming, Opitz, und Klaj. Menschliches Leid wird darin mit außergewöhnlicher Intensität zum Ausdruck gebracht. Krenek selbst schätzte dieses Werk (zu Recht) hoch ein. Der Chorzyklus „Jahreszeiten“ wurde von Texten Hölderlins inspiriert. „In Paradisum“, vertont nach einem anonymen Text, widmete Krenek seinem Vater. Freunde meinten, daß beim Zuhören zur Gewißheit wird, daß dies eine Musik sein könnte, mit der man selbst im Paradies empfangen wird. Auch die nachfolgenden „Three Motetts“, „Oh holy Ghost“ und die „Three Sacred Pieces“ atmen diese tiefreligiöse, aus dem kulturellen Humus langer Jahrhunderte getränkte Innerlichkeit eines freien Mannes, der sich den Zwängen der Mode und des Marktes verweigert hat. Noch weltabgewandter, vergeistigter und befreit von allem modernen Tand ist Kreneks Tonsprache in seiner „Lamentatio Jeremiae Prophetae“ für vielstimmigen Chor a capella nach Texten aus dem Secundum Brevarium Sacrosanctae Ecclesiae Romanae (op. 93) aus dem Jahre 1941. Der RIAS-Kammerchor unter Marcus Creed bewältigt diese Partitur, die vielleicht eins der schwierigsten Chorwerke der Gegenwart darstellt, mit atemberaubender Schlichtheit. Wie aus dem Nichts ertönen von „oben“, von „unten“ und von überallher Stimmen, die sich kühn in Raum und Zeit kreuzen, vermischen, und wieder trennen – Musik der Sphären, Mittelaltermusik, geistige Musik. Wer sich dafür die Sinne öffnen kann, wird Ungeahntes und Niegefühltes zu Hören bekommen: Hochachtung vor dem Meister und seinen Interpreten!
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