Slomka wünscht’s, Seehofer tut’s. An einen Zufall mag man da kaum glauben: Am 5. Mai schwärmt die ZDF-Nachrichtenmoderatorin Marietta Slomka in einer Preisrede von den Nachgesprächen mit Politikern im heute journal: „Bei diesen Nachgesprächen ist der Politiker plötzlich wieder Mensch. [Er] redet völlig normal, der ganze Duktus, ja selbst die Körperhaltung ist wie ausgewechselt. Da geht es dann auch viel offenherziger zu – ohne dass dabei Geheimnisverrat begangen würde. Aber das ‚Wie‘– das ist völlig anders.“
Diese Gespräche dürften allerdings bedauerlicherweise nicht gezeigt werden. Doch, o Wunder, schon rund eine Woche später sendet das heute journal tatsächlich ein solches Nachgespräch – mit freundlicher Genehmigung von Horst Seehofer. („Sie können des alles senden.“) Die Wirkung war beträchtlich und beschleunigte wohl auch die Entlassung Norbert Röttgens vom Amt des Bundesumweltministers. Seehofer hatte im offiziellen Teil des Gesprächs zunächst der von Slomka beklagten „oft eigenartig entrückten Politiker-Sprache“ gefrönt. Im Nachgespräch jedoch verwischte er den „Unterschied zwischen privater und öffentlicher Sprache“, der in Deutschland besonders groß ist, wie Slomka richtigerweise feststellte.
Der explodierende „Sprachmagier“
Ein unerhörter Vorgang: Nur weil Seehofer ein bißchen deutlicher wurde, glaubten zahlreiche Kommentatoren, eine Wutrede gehört zu haben, und schossen mit dieser Einschätzung weit über das Ziel hinaus. Die Bild-Zeitung schrieb vom „Watschen-Horst“. Den Vogel schoß jedoch die Zeit ab mit ihrer furchtbaren Schreckensmeldung: „Horst Seehofer ist vor laufender Kamera explodiert.“ Auf der anderen Seite adelte Eckhard Fuhr, der Kultur-Chefkorrespondent der Welt-Gruppe, Seehofer zum „Sprachmagier der Politik“ und sieht in ihm gar einen „neuen Herbert Wehner“.
Wie tief muß die politische Sprachkultur in diesem Land gesunken sein, wenn ein wenig Klartext für ein solch gewaltiges Echo sorgt? Politische Überkorrektheit überängstlicher Politiker sorgt für Langeweile und ist eine große Gefahr für Deutschland: Wenn Probleme nicht mehr klar benannt werden können, ist es schwer, sie zu lösen. Die Unfähigkeit, sich klar auszudrücken, und die Furcht vor dem Anecken durchdringen immer größere Bereiche unseres Alltags und schwächen unser Gemeinwesen. Auch Seehofer ist kein Franz-Josef Strauß, der mit seinen kernigen Reden Freunde und Gegner beeindruckte. Doch hat er ein wenig Glaubwürdigkeit und Echtheit in unser Sprachblasenland zurückgebracht.
Die Dunstglocke lüften
Die Dunstglocke über der deutschen Sprache gab es hierzulande nicht immer. Der altgediente Journalist Klaus Harpprecht schwärmt in Welt Online von alten Bonner Zeiten: „Damals riskierten manche unserer Staatsleute ein offenes Wort, und sie legten nicht jede Formulierung auf die Goldwaage. Sie teilten aus, und sie steckten ein.“ Das ist den Politikern von heute angesichts der Gefahr, schnell kaltgestellt zu werden, viel zu riskant.
Seehofer hat uns nun etwas wiedergegeben, was viele Bürger vermissen. Slomkas Aufruf hatte gelautet: „Mehr deutsche Sprache wagen.“ Diesem Wort kann man(n) sich nur anschließen. Hier sind wagemutige Männer besonders gefragt. Ihnen dürfte es am leichtesten fallen, die fade Harmoniesuppe der veröffentlichten Sprache ein wenig zu salzen und zu pfeffern, ohne gleich als schrill und hysterisch gebrandmarkt zu werden. Sie sollten auf die Frau Slomka hören – und anfangen, deutsch zu reden.