Die Wiedervereinigung Deutschlands war und ist mehr als ein innerdeutscher Vorgang. Wichtige Aspekte gingen und gehen bis heute kaum oder überhaupt nicht in die politische Bewertung ein. Dazu gehören:
Nicht nur in der ehemaligen DDR, sondern auch in anderen kommunistisch regierten Staaten brachen um die gleiche Zeit deren Diktaturen zusammen. Der Sozialismus war mit seinen planwirtschaftlichen Wirtschaftssystemen am Ende; er hatte als Zukunftsmodell ausgedient.
Die Wiedervereinigung und die Sicherheit Deutschlands müssen im Zusammenhang gesehen werden. Sie sind die beiden Seiten ein und derselben Medaille. Die in Ost und West übermäßig auf Waffen basierte Abschreckungsstrategie hat ausgedient.
Europa ist mehr als eine Wirtschaftsunion
Europapolitisch gesehen hat die Wiedervereinigung Deutschland das Tor zur Osterweiterung der Europäischen Union (EU) aufgestoßen und damit den Weg zu einem Vereinten Europa eröffnet.
Als größte Volkswirtschaft in der EU hat das wiedervereinigte Deutschand mehr gestaltende Möglichkeiten innerhalb und außerhalb der EU. Es kann so entscheidend dazu beitragen, daß die Politik der EU Friedenspolitik ist und bleibt.
Das wiedervereinigte Deutschland muß sich mehr als bisher – auch zum eigenen Vorteil – mit dem internen Willensbildungsprozeß der EU befassen. Europa ist mehr als eine Wirtschaftsunion.
Für die Wiedervereinigung war die Mitgliedschaft in der EU von großem Vorteil. Vorbehalten anderer (EU-)Staaten gegen unsere Wiedervereinigung konnte so von vornherein wirksamer begegnet werden. De facto wirkte die EU wie ein Bürge.
Prof. Dr. Bernhard Friedmann war von 1976 bis 1990 Bundestagsabgeordneter (CDU) und von 1996 bis 1999 Präsident des Europäischen Rechnungshofes.
Er veröffentlichte 1987 seine „Thesen für die Wiedervereinigung“, in denen er einen Zusammenhang zwischen Sicherheits- und Deutschland-Politik herstellte („Einheit statt Raketen“).
Friedmann machte deutlich, daß die deutsche Teilung nicht nur Folge, sondern auch die Ursache der Ost-West-Spannungen war: „Die Wiedervereinigung ist ein Weg, um aus der Rüstungsspirale herauszukommen.“ Und: „Es ist legitim, daß die Supermächte primär ihre Interessen sehen. Umso wichtiger ist es dann aber, daß wir unser deutsches Anliegen selbst, das heißt operativ in die internationale Politik einführen.“
Kanzler Helmut Kohl nannte Friedmanns Thesen „blühenden Unsinn“ eines „biederen Postrats“. Im innerdeutschen Ausschuß des Bundestages wurde dem Autor „Weltfremdheit“ attestiert.