KAF-RAMBEL. Es wird zuviel geredet. Über große Opferzahlen. Von glorreichen Siegen. Bezüglich vermeintlicher Gefahren auf der Durchreise. Doch manchmal ist der Nebel des Ungefähren echter Rauch. Und wo Rauch ist, da ist auch Feuer. Die Fahrt ins Dorf Kaf-Rambel (Kafr Nbel) wird eines zurück ins Bewußtsein bringen: Syrien ist ein Kriegsland – so sehr auch vielerorts ein trügerisches Alltagsleben Einzug gehalten hat.
Maarat an-Numan, in der nördlichen Provinz Idlib. Der 20jährige Achmed, Englisch- und Literaturstudent aus Aleppo, hat seinen klapprigen Wagen zur Verfügung gestellt. Er lacht: „Damals hatte ich noch ein gutes Auto. Aber das haben Demonstranten in Hama angezündet – wegen des Kennzeichens aus Lattakia.“ Hama, die konservativ-sunnitische Stadt im Landesinnern. Und Lattakia, die liberale Alewiten-Stadt an der Küste. Gegensätze im Bürgerkrieg. Daß es ausgerechnet den Wagen eines überzeugten Rebellenkämpfers traf – bittere Ironie.
An seiner Einstellung habe sich jedoch nichts geändert, so Achmed, der mit vier weiteren jungen Männern eine improvisierte Hobby-Schmiede für Sprengsätze betreibt. Kraftsprüche sucht man hier vergebens – diese Syrer haben dem Tod bereits mehrfach ins Gesicht geblickt, zuletzt beim Kampf um Kaf-Rambel.
Der Krieg kannte keine Gnade
Kaf-Rambel, zehn Kilometer westlich von Maarat, war vom 6. bis 10. August 2012 Schauplatz heftiger Kämpfe – insgesamt 1.000 Rebellen sollen sich zu unterschiedlichen Zeiten an der Vertreibung der Assad-Truppen beteiligt haben. Nun ist die Straße wieder frei. Während Dutzende Fahrzeuge auf die offiziellen Benzinrationen warten, haben wir uns für 125 syrische Pfund (rund 1,50 Euro) je Liter auf dem Schwarzmarkt eingedeckt.
Ankunft im Ort. Ein Hauch von Mogadischu liegt in der Luft. Zerschossene Gebäude und ausgebrannte Fahrzeuge entlang der großen Straße im Außenbereich der Stadt. Nur wenige Menschen wagen sich hierher. Es gibt keine Siegeseuphorie – nur den Atem des Todes. Über den Verlauf der Auseinandersetzung gibt es wie immer unterschiedliche Versionen – und die auch nur von den Rebellen, die fast allesamt aus anderen Regionen Syriens herbeigeeilt waren.
Ein Video zeigt 26 Leichen
Demnach sei es am 5. August zu einem Konflikt zwischen Bürgern und Soldaten gekommen. Ob es nun Aktivisten-Verhaftungen waren, welche Proteste zur Folge hatten oder gar eine angeblich wahllose Exekution auf offener Straße – in jedem Fall kam es über Nacht zum offenen Kampf. Die Opferzahlen schwanken – je nach Gesprächspartner. 25 bis 45 Tote bei den Aufständischen. 180 bis 300 unter den Regierungstruppen. Ein Video von einem Mobiltelefon wird vorgeführt und soll als Beweis dienen: 26 in Decken gehüllte Körper sind dort zu sehen – angeblich tote Assad-Soldaten.
Ihre Leichen habe man gegen 35 oder 36 verschleppte Zivilisten ausgetauscht, heißt es. Gefangene wären später von den Familien freigekauft worden – oder ebenfalls Teil des Tauschgeschäfts gewesen. Da widersprechen sich die Berichte.
Zwei Dinge fallen auf: Mit Molotow-Brandsätzen, über die Mauern geworfen, wäre seien die Aufständischen erfolgreich gegen die sechs Schützen- und zwei Kampfpanzer vor Ort vorgegangen. Erst später seien Panzerfäuste und mindestens eine Straßenmine zum Einsatz gekommen. Zum anderen habe es am Ende der Schlacht zwei schwere Luftangriffe gegeben – auf die Telefonzentrale und die Schule. Dort also, wo sich die umzingelten und von jeder Versorgung abgeschnittenen Regierungseinheiten zuletzt verschanzt hätten. Ein Angriff auf die eigenen Leute? „Ja“, sagen Vertreter zweier Rebellentrupps und einheimische Zivilisten übereinstimmend. „Assad wollte nicht, daß wir die vielen Waffen erobern. Und dafür hat er seine eigenen Leute umgebracht.“ Ob wirklich der Präsident den Befehl gab, und ob tatsächlich bis zu 60 Soldaten dabei umgekommen sind, ist nicht nachzuvollziehen. Nur das Ereignis selbst: Durch die eingestürzten Gebäude.
Angriff auf wehrlose Leute
Wie schwer es ist, auch nur ansatzweise zu erfahren, was vor sich geht, zeigt sich noch am selben Tag: Vor sieben Stunden soll eine MiG erneut eine Bombe ins Dorfzentrum geworfen haben. Die Spuren sind deutlich sichtbar, auch wenn Freiwillige die Trümmer bereits zusammengeräumt haben. Ein seltsames Ereignis, angesichts der Tatsache, daß außer meinen Begleitern niemand eine Waffe trägt. Im Krankenhaus liegt ein gutes Dutzend Schwerverletzter. Drei Patienten, so Dr. Abdullah Ismael, wären in Pkw gen Türkei gefahren worden. „Dieser Angriff hat 25 Menschen das Leben gekostet“, so der 26jährige Mediziner. Amateur-Aufnahmen zeigen den verrauchten Straßenzug und eine verkohlte Leiche. Die Skepsis bleibt. Dr. Ismael ist es ernst: „Komm, ich zeige Dir den Friedhof.“ Einige Hundert Meter jenseits des Dorfrands: Ein Gräberfeld im freien Gelände. Wir zählen die Ruhestätten der nach islamischem Brauch als Märtyrer sofort und ohne Waschung beerdigten Opfer von heute morgen. Es sind 12. „Ich schwöre bei Allah. Ich habe die Toten gesehen. Es waren 25“, sagt der freundliche Arzt.
Neugierig kommt eine Gruppe junger Männer herbeigeeilt. Im Gebüsch basteln sie an zwei eroberten Schützenpanzern herum. „Da hinten in den Bergen hat die Freie Armee gestern einen Hubschrauber abgeschossen“, verkünden sie stolz. Aber solange das Husarenstück mit der Flak nicht zu sehen ist, muß auch diese Darlegung ins Reich der Erzählungen verwiesen werden.