Kürzlich war ich im Kino und habe mir den neuen Film „Vision – Das Leben der Hildegard von Bingen“ (Regie: Margarethe von Trotta) angeschaut. Schon lange war ich gespannt auf die filmische Umsetzung dieser Lebensgeschichte. Keine andere Heilige (auch wenn ein offizieller Heiligsprechungsprozeß nie stattfand) wird so sehr fehlgedeutet und von Vertretern des „New Age“ mißbraucht wie die heilige Hildegard. Heilpraktiker wie auch Esoteriker berufen sich heute auf ihre Kenntnis der Heilpflanzen und der heilenden Wirkung der Musik. Ihre Schriften finden sich in den Buchhandlungen meist in der Sparte „Mystik/Esoterik“.
Doch das christliche Verständnis von Mystik unterscheidet sich von dem der Esoteriker. Es geht nämlich nicht um das Eindringen in eine geheimnisvolle Welt des Übersinnlichen, über die keine objektive Rede möglich ist, sondern um die Begegnung mit dem lebendigen Gott. Solche Begegnung aber setzt voraus, daß die entsprechende Person im Glauben fest verankert ist und ein inniges Gebetsleben führt.
Was heute gerne übersehen wird: Hildegard von Bingen (1089 – 1179) hatte Visionen. Der Gott, dem sie als Ordenfrau („Braut Christi“) ihr Leben geweiht hat, sprach zu ihr und vermittelte ihr jenes Wissen, über das die Menschen heute noch staunen. Mit solch einem direkten Eingreifen Gottes aber tut sich unsere heutige Zeit schwer. Für viele ist die Rede von Gott nicht mehr als eine erbauliche Geschichte, die vor allem schwächeren Naturen Trost oder Kraft spenden kann. Gott wird vielleicht noch als Schöpfer der Welt anerkannt, doch danach habe er diese sich selbst überlassen. Damit wird konsequenterweise die Menschwerdung Gottes, die Auferstehung Jesu, der Glaube an Wunder und an Visionen hinfällig.
Gegen die Mär vom „finsteren Mittelalter“
Besonders erfreulich ist es daher, daß der Kinofilm die Visionen Hildegards thematisiert und dieses Phänomen sogar im Titel benennt. Auch die Darstellung dieser mystischen Einsprechungen Gottes, die mit dem Erscheinen eines hellen Lichtes einhergehen, geschieht weder in effekthaschender noch in süßlicher Weise, sondern auffallend schlicht. Da auch die Ordensfrauen immer wieder beim Gebet gezeigt werden, wird so ein Zusammenhang hergestellt, der den Zuschauer mit der Frage nach Gott konfrontiert.
Zudem ist es eine große Leistung dieses Films, das mittelalterliche Leben und die mittelalterliche Frömmigkeit sehr realistisch darzustellen. Dadurch wird auch mit der weitverbreiteten Mär vom „finsteren Mittelalter“ aufgeräumt. Die Kirche hat nämlich damals die Leute nicht dumm gehalten, sondern gerade die Klöster waren Orte, an denen die Kunst und die Wissenschaft zur Blüte gelangten. Auch frauenfeindlich kann die Kirche damals nicht gewesen sein, wenn eine Äbtissin wie Hildegard eine solch einflußreiche Stellung in der Kirche wie in der Gesellschaft erlangen konnte.
Hildegard von Bingen wird im Film dargestellt als eine selbstbewußte und mutige Frau, mit der sich die Zuschauerin von heute durchaus identifizieren kann. Es freut mich, daß dieser Film in gekonnter Weise die Person Hildegards wieder ins rechte Licht rückt und die Frage nach dem lebendigen Gott stellt. Hauptdarstellerin Barbara Sukowa sagte neulich in einem Interview: „Wenn der Film nur ein Moment bedeutet, ein Fenster öffnet, ein Innehalten bringt, ‘Sei doch still, halt einmal an, schau auf dich und stell dir Fragen’, dann hat er sich gelohnt.“