Der Leichenpräparator Gunther von Hagens hat im brandenburgischen Guben ein sogenanntes Plastinarium eröffnet, in dem Leichen zur Schau gestellt werden. Die darbende Stadt an der Neiße erhofft sich davon neue Arbeitsplätze und mehr Besucher. Kritiker beklagen die Mißachtung der Menschenwürde. Eine Reportage Auf dem Bahnhof von Guben weht ein kalter Wind. Der Bahnsteig ist leer, die Betonplatten sind über die Jahre gerissen und haben sich verschoben – aus den Spalten wächst Gras. Fremde fallen hier sofort auf: „Das Plastinarium ist gegenüber vom Bahnhof“, sagt die Frau hinter dem Bahnhofsschalter. Seit der weltweit bekannte „Anatomieprofessor“ Gunther von Hagens in Guben eine Dauerausstellung eröffnet hat, in der gezeigt wird, wie Leichen präpariert werden, kommen mehr Touristen in die Stadt. Seit der Wende hat sich der kleine brandenburgische Grenzort zu einer Geisterstadt entwickelt: Seit 1990 sind etwa ein Drittel der ehemals 36.000 Einwohner fortgezogen. Auch die Industrie ist verschwunden. Nun sind 22 Prozent der verbliebenen 23.000 Einwohner ohne Arbeit. „Die Menschen hier sind verzweifelt“, sagt eine 41jährige Frau, die glücklich ist, im Bahnhofscafé eine Stelle gefunden zu haben. Genau diese Hoffnungslosigkeit hat sich Gunther von Hagens zunutze gemacht: Arbeitsplätze waren auch das Hauptargument des Gubener Bürgermeisters Klaus-Dieter Hübner (FDP), sich vehement für die „Leichenfabrik“ einzusetzen, die den Namen „Plastinarium“ trägt. Schließlich hatte der Plastinator hier Arbeit für gut 200 Menschen versprochen. Der Andrang ist groß: Momentan liegen dem privat finanzierten Plastinarium etwa 700 Bewerbungen vor. „Achtzig Prozent der Gubener sind für die Fabrik“, verwies Hübner auf eine Umfragen, die von Hagens selber in Auftrag gegeben hat. Die Menschen in der ehemaligen Textilstadt sind dankbar für jeden Hoffnungsschimmer. Seit der Eröffnung der Leichenwerkstatt am 17. November ist Guben nicht mehr nur geographisch eine Grenzstadt. Denn das Plastinarium wird von seinen Kritikern mindestens als grenzwertig, wenn nicht als Überschreitung der wenigen noch existenten kulturellen und religiösen Tabus gewertet. Trotzdem verkaufte Guben die dreitausend Quadratmeter große denkmalgeschützte Fabrikhalle, die bis zum Sommer noch das Rathaus beherbergte, an Gunther von Hagens. Der promovierte Mediziner, der seinen chinesischen Gastprofessorentitel hierzulande nicht tragen darf, investierte rund 2,5 Millionen Euro in die Anlage. Das Plastinarium soll einen Blick hinter die Kulissen seiner Wanderausstellung „Körperwelten“ ermöglichen, die weltweit über zwanzig Millionen Menschen anlockte und über vierzig Millionen Euro einbrachte. Der Weg in das Plastinariums in der alten Wollfabrik führt über einen roten Teppich. Über dem Eingangstür steht mit großen weißen Buchstaben auf glänzend rotem Untergrund „Plastinarium“. Alles ist auf Hochglanz poliert. Am Nachbarhaus dagegen bröckelt der Putz. An diesem Wochenende besuchen 1.850 Menschen das Plastinarium – viele kommen von auswärts. Das Leichenmuseum scheint der toten Stadt neues Leben einzuhauchen. Bevor der Besucher die eigentliche „Werkstatt“ zu sehen bekommt, wird er auf sanfte Weise vorbereitet. In der ersten Halle wird die Geschichte der Anatomie beschrieben. Was wie eine objektive Beschreibung aussehen soll, ist in Wahrheit sehr programmatisch: Auf den Erklärungstafeln wird suggeriert, daß die Plastination die Perfektionierung jeglichen anatomischen Präparierens sei. Damit reiht sich Gunther von Hagens selbst in die lange Tradition der Anatomie und Pathologie ein, die der Entwicklung der Medizin gedient haben. Doch der Sinn seiner Plastinate bleibt verborgen. Denn sie dienen meist nicht der Wissenschaft, sondern vielmehr der Konsumgesellschaft und dem Voyeurismus. Es ist der Nervenkitzel, der die Massen anlockt. Denn der Besucher muß bereits auf den ersten Metern in der Werkstatt mit sich selbst kämpfen. Er empfindet Ekel und Angst wie in einem Gruselkabinett. Erst sieht er Knochentüten auf einem Tisch: Hier werden Skelette angefertigt. Nebenan steht ein drei Meter hohes und vier Meter breites Holzregal mit Hunderten menschlichen Schädeln – ordentlich nebeneinander aufgereiht. Als nächstes wird gezeigt, wie man menschliche Schädel mit im Wasser aufquellenden Erbsen aufsprengen kann. Wenige Meter weiter steht ein plastinierter Kopf durchlöchert von Stecknadeln zur Befestigung der Einzelteile. Die etwa fünfzig Mitarbeiter im Plastinarium fragen freundlich, ob sie den Besuchern etwas erklären dürfen. Sie zeigen, wie Bindegewebe vorsichtig mit einer Pinzette von einer Leiche entfernt wird, um sie dann auf die Vollkörperplastination vorzubereiten. Sie erklären, wie eine auf dem Boden liegende und wegen des Geruchs in Zellophan gewickelte Leiche „positioniert“ wird. Danach werde sie mit minus siebzig Grad eingefroren und mit einer Säge, die an eine überdimensionale Brotschneidemaschine erinnert, in Scheiben zersägt. Auf einem Tisch liegen verschieden große plastinierte Menschenscheiben. „Hier sehen Sie eine Ganzkörperscheibe, jedoch ohne Arme und Unterschenkel“, sagt eine 29jährige Frau und hält das Stück hoch. Der Preis für eine solche Scheibe? „Bis 7.000 Euro“, sagt sie. Ob sie daran denke, wer dieser Mensch war, den sie in der Hand hält? „Nein“, sagt sie. „Ich denke nie daran. Sie haben das doch selber so gewollt.“ Sie empfinde keinen Ekel. „Tasten Sie selber! Das ist doch nur Plastik“, sagt sie lachend. Dabei biegt sie eine etwa fünf Millimeter dicke Unterarmplatte in ihren Händen hin und her und schlägt sie gegen die Tischkante. Eine andere Mitarbeiterin erzählt, daß sie fünf Wochen lang im chinesischen Dalian ausgebildet worden sei. 1994 gründete von Hagens das Institut für Plastination (IfP) in Heidelberg. 2001 folgte in Dalian die Von Hagens Plastination Co., Ltd. Kritiker halten die Ortswahl für keinen Zufall. In einer Broschüre des Plastinariums steht: „Präparate, die das IfP von Kooperationspartnern wie Universitäten oder öffentlichen Museen erhält, stammen … von Leichen, die nach den Regeln des jeweiligen Landesrechts der Anatomie gewidmet wurden.“ Vor allem über die Herkunft der in China verarbeiteten Leichen ist viel spekuliert worden – in Ländern, in denen Menschenleben wenig wert sind, sei alles möglich, heißt es. Davon will die 44jährige Mitarbeiterin nichts wissen. „Da müssen Sie bei der Leichenspenderstelle nachfragen.“ Aber auf die Frage, was mit den Leichenteilen passiert, die in dem Gubener Plastinarium nicht verwertet werden können, antwortet sie lakonisch: „Sie werden völlig korrekt in der Tierkörperbeseitigung entsorgt.“ „Bislang haben wir dem Publikum hier nur die Methoden der Plastination gezeigt“, sagt ein junger Mann, der neben der Menschensäge steht. „Ab nächster Woche fangen wir dann richtig an zu plastinieren“, sagt er. Sogar die Säge dürfe er ab nächster Woche bedienen. Jedoch fände er es gut, wenn die Sägeabteilung später so abgeschirmt würde, daß die Besucher selbst entscheiden können, ob sie das in Scheibenschneiden der Leichen beobachten wollen. „Das kann man schließlich nicht jedem zumuten.“ Dieser Meinung sind auch viele Landespolitiker in Brandenburg. Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) hat den Plastinarium-Besuch von Schulklassen bereits vor einigen Wochen untersagt. Jetzt will das Ministerium durch Druck auf die Gubener Stadtverwaltung erreichen, daß die Ausstellung ähnlich wie Gewalt- oder Horrorfilme mit einer Altersbeschränkung versehen wird. Die evangelische Kirche fordert gar die Schließung der Schau. Der evangelische Pfarrer von Guben, Michael Domke, gründete das Aktionsbündnis für Menschenwürde, das unter anderem bei der Eröffnung des Plastinariums vor der Fabrikhalle demonstrierte. Pfarrer Domke erwog zusätzlich zu den Kundgebungen eine Verfassungsklage gegen die Leichenwerkstatt. Doch vor etwa zwei Wochen gab er das Ansinnen auf. Verfassungsrechtler erklärten, daß eine Verfassungsbeschwerde gegen das öffentliche Präparieren von Leichen, wie es im Plastinarium geschieht, nicht möglich sei – eine solche könne sich nur gegen staatliches Handeln richten. Deshalb geht der Kirchenkreis Cottbus, zu dem Guben gehört, jetzt auf zivilrechtlichem Wege gegen das Plastinarium vor: Er hat Strafanzeige gegen von Hagens erstattet. Es soll geprüft werden, ob dort gegen gesetzliche Bestimmungen zur Bestattung oder Sektion von Leichen verstoßen wird. In der Ausstellung selbst stößt man kaum auf kritische Stimmen. „Ich bin aus Neugier gekommen“, sagt die 22jährige Yvonne Badack aus Cottbus. Sie habe die Ausstellung keineswegs als anstößig empfunden. Auch ihr Freund Ronny Koswig ist positiv überrascht. „Die Diskussion über das Plastinarium ist völlig übertreiben“, sagt der 25jährige Cottbusser. Von Hagens hat seit 1996 422 Leichname präpariert. Ihm lägen derzeit 6.648 Anmeldungen für Körperspenden vor, davon stammten 90 Prozent aus Deutschland. In der Vollmacht, die die Leichenspender unterschreiben müssen, sind verschiedene Fragen zu beantworten. Hier wird etwa gefragt, ob man einverstanden sei, wenn die unkonservierte Leiche an Stelle von Puppen für „Crashtests“ verwendet wird. Gefragt wird auch, ob der Körper des Spenders öffentlich verwesen darf. Zudem wird gefragt, ob die Fortpflanzungsorgane auf einen anderen Körper transplantiert werden dürfen. Gunther von Hagens, der eigentlich Gunther Gerhard Liebchen heißt, liebt die Provokation. Am liebsten provoziert er die Kirche mit Sätzen wie: „Die Körperscheiben sind so schön wie Kirchenfenster.“ Zudem will der Plastinator in der Ausstellung einen eigenen Raum für die innere Einkehr bieten. Er nennt diesen Raum „Die Körperkirche“. Darüber hinaus begibt er sich auch in der Körperspenderverfügung auf ein Terrain, das die Kirche als blasphemisch bezeichnen würde. Der Körperspender muß beantworten, ob seine Leiche als Plastinat für religiöse Zwecke – zum Beispiel für die „Nachstellung des Abendmahls“, von „Totgeburten für das Krippenkind“ oder zur „Darstellung der Todesursache bei der Kreuzigung“ benutzt werden darf. Wer in Guben die Neiße überquert, die hier die Grenze zu Polen markiert, wird vom lebendigen Treiben in Gubin – dem heute polnischen Teil der Stadt – überrascht. Slawische Melodien, von einem kernigen Rentner auf der Geige vorgetragen, empfangen den Grenzgänger, junge Familien mit kleinen Kindern an der Hand erledigen ihre Einkäufe im Gewusel rund um den Polenmarkt: nach dem wie ausgestorben wirkenden Westteil Gubens ein gänzlich anderes Bild. Die Menschen auf dieser Seite des Flusses sind kritischer: „So was gehört sich nicht, es sind ja schließlich verstorbene Menschen“, sagt eine junge Mutter mit einem kleinem Mädchen an der Hand. „Gerade ihr Deutschen solltet achtgeben. Auf euch lastet doch die Vergangenheit“, sagt Janek, der Taxifahrer. „Seid nicht naiv! Der von Hagens zieht euch da in etwas rein.“ Die 17jährige Ewelina sitzt mit einem Schulfreund auf einer Parkbank. Was von Hagens macht, sei ihrer Meinung nach falsch. „Denn nicht nur der lebende, sondern auch der verstorbene Mensch ist ein Tempel des Heiligen Geistes“, sagt sie. So wundert es nicht, daß von Hagens hier auf Widerstand stieß. Ursprünglich hatte von Hagens seine Werkstätten im gut vierzig Kilometer weiter südöstlich gelegenen Dorf Schönwalde (Sieniawa Żarska) bei Sorau in der Neumark errichten wollen und sich dort schon Gebäude der ehemaligen Maschinenfabrik gesichert. Die katholische Kirche lehnte das Vorhaben ab, die Pläne wurden längere Zeit in der polnischen Presse diskutiert. Die Zeitung Rzeczpospolita fand bei ihren Recherchen unter anderem heraus, daß von Hagens‘ Vater Gerhard Liebchen während des Zweiten Weltkriegs den Rang eines SS-Unterscharführers erreichte. Aber nicht deswegen wandte sich die Gemeinde Schönwalde an den Bezirksstaatsanwalt in Grünberg. Man ließ prüfen, ob die Plastination menschlicher Leichen in Polen überhaupt zulässig ist. Das Ergebnis war eindeutig: Paragraph 262 des polnischen Strafgesetzbuches stellt das „Unfugtreiben mit Leichen oder Leichenteilen“ unter Strafe. Fotos: Eine Frau protestiert vor der Ausstellung in Guben: Strafanzeige gegen von Hagens; Gunther von Hagens: Der Anatom gefällt sich in der Pose des Künstlers