Mit einem Paukenschlag ist der „Fall Hohmann“ wieder auf der Tagesordnung. Am vergangenen Freitag hat der Münchner Universitas-Verlag mit der Auslieferung des gleichlautenden Buches des Publizisten Fritz Schenk begonnen. Das Buch scheint zu einem politischen Bestseller zu werden: Trotz der hohen Startauflage von 10.000 Exemplaren kündigte der Verlag bereits die Vorbereitung einer zweiten Auflage an. Schenk widerlegt mit diesem Buch (siehe auch Dokumentation auf Seite 7) endgültig die These, daß es sich bei der Affäre um den am 16. November des vergangenen Jahres aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausgeschlossenen Abgeordneten Martin Hohmann lediglich um den isolierten Fall eines „verwirrten Hinterbänklers“ gehandelt habe. Das Gegenteil ist nach Schenk, langjähriger ZDF-Moderator, der Fall: Lückenlos reiht sich die Affäre ein in eine sich inzwischen immer schneller fortsetzende Kette von geschichtspolitischen Kampagnen. So steht Hohmann in einer Reihe mit dem Historiker Ernst Nolte, dem einstigen Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger (CDU), dem CDU-Präsidentschaftskandidaten Steffen Heitmann und dem Schriftsteller Martin Walser, die ähnlich wie Hohmann zu Zielscheiben von Medienkampagnen wurden. Ihnen wurde jeweils zum Verhängnis, mit den „Meinungssoldaten“ (Walser) der Political Correctness in Konflikt geraten zu sein. Und sie waren involviert in das große Gespräch um die Interpretation, die Einordnung der deutschen Vergangenheit in ihren europäischen Kontext. Diese Auseinandersetzung, die in einer Demokratie geführt werden muß, nimmt in Deutschland in immer dichter aufeinanderfolgenden Fieberschüben Züge eines totalitären Dogmatismus an. Es geht um die intellektuelle Deutungshoheit über unsere Geschichte und unsere Identität. Der Fall Hohmann hat sogar schon seine Fortsetzung gefunden: Wie diese Zeitung in der vergangenen Woche berichtete, stampfte die Bundeszentrale für politische Bildung das aktuelle Heft der von ihr herausgegebenen Zeitschrift Deutschland Archiv wieder ein, wegen eines Beitrages des Politologen und Marxismus-Experten Konrad Löw über „Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte“. Auch hier ging es um eine Interpretation der Vergangenheit, insbesondere inwiefern Antisemitismus tatsächlich ein kollektiver Wesenszug der Deutschen Anfang des letzten Jahrhunderts war. Schenk, der die Hohmann-Affäre anhand von Originaldokumenten und zahlreichen Pressezitaten seziert und als politischen Krimi minutiös nachzeichnet, legt hierbei den Finger in die Wunde eines Bürgertums, das dabei ist, im Meinungskampf seine Freiheit aufzugeben. Er weist nach, daß zwar linke Spindoctors im öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ARD im Verein mit linksgerichteten Journalisten in anderen Medien den „Fall Hohmann“ mit der Falschmeldung, er habe die Juden „als Tätervolk“ bezeichnet, ins Rollen brachten. Den Sturz des Abgeordneten haben aber „bürgerliche Zeitungen“, allen voran die Blätter des Springer-Verlages, vor allem die Bild-Zeitung zu verantworten – zusammen mit einer widerstandsunfähigen Führung der Union, die der Herausforderung einer geschichtspolitischen Kampagne intellektuell nicht gewachsen ist. Am Dienstag forderte der Publizist Rafael Seligmann jetzt in einem Beitrag für die taz, Adolf Hitlers „Mein Kampf“ in Deutschland endlich „zum unveränderten Nachdruck“ freizugeben. Enthusiastisch überschrieb die Zeitung seinen Text: „Unsere Demokratie ist stark genug, keinen Hitler-Rückfall zu erleiden. Im Gegenteil: Eine Freigabe wäre Zeugnis dieser politischen Reife“. Angesichts des faktischen Verfalls an demokratischer Kultur, des Verdampfens geistiger Freiheit von „politischer Reife“ zu sprechen, ist gelinde gesagt euphemistisch. Die Deutschen – zumindest repräsentiert in ihrer tonangebenden politischen Klasse – sind neurotisiert und zu einer „reifen Debatte“ offenbar immer weniger in der Lage. Es wird in vorauseilendem Gehorsam freiwillig zensiert, ausgeladen, eingestampft, boykottiert, ausgegrenzt – es werden geistig die Hacken zusammengerissen, daß es eine wahre Pracht ist. Seligmann fragt zu Recht: „Warum besitzen wir Deutsche so wenig demokratisches Selbstvertrauen? Fürchten wir immer noch die braune Bestie in unseren Hirnwindungen?“ Es ist fraglich, wie viele Jahre nach der Beendigung des Zweiten Weltkrieges noch verstreichen müssen, bis die „Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken“ (Walser) beendet ist. Dann werden vielleicht auch die Schlußworte von Löws inkriminiertem Aufsatz beherzigt: „Aber eine fruchtbare Symbiose auf wissenschaftlicher Ebene kann es nur geben, wenn alle Beteiligten auf der Suche nach der deutschen Identität folgende Grundsätze respektieren: Keine Tabus; keine Vergleichsverbote, auch wenn die Vergleiche anstößig sein sollten; gleiche Maßstäbe für alle Völker und Menschen; in dubio pro reo; die Wirklichkeit ist zumutbar.“ Immerhin mehren sich die Stimmen, die vor einer Zerstörung der Meinungsfreiheit warnen. Der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi erklärte in einer – wenig beachteten – Rede vom 18. März 2003, wir müßten uns „vor einer Bedrückung durch allzu mächtige Political Correctness schützen“. Diese Rede hatte er im Bayerischen Landtag auf Einladung der dortigen Akademie für politische Bildung gehalten. Als habe er den Hohmann-Skandal vorausgeahnt, mahnte Dohnanyi: „Die Bereitschaft, sich ‚couragiert‘ einem großen Strom des Konsenses entgegenzuwerfen, hängt allerdings auch davon ab, wie die demokratische Gesellschaft auf Widerspruch reagiert. Tut sie es durch Ausgrenzung, zum Beispiel durch die Medien, oder droht die Gesellschaft gar Nonkonformisten existenziell zu vernichten, dann wird die ‚Zivilcourage‘ in der Gesellschaft erlahmen, und der freie Dialog wird verstummen.“