Der Fall sorgte bundesweit für Schlagzeilen: Am 27. Februar 2024 wird die damals 16jährige Loretta B., Schülerin am Richard-Wossidlo-Gymnasium in der Kleinstadt Ribnitz-Damgarten in Mecklenburg-Vorpommern, von der Polizei vor aller Augen aus dem Unterricht geführt und einer „Gefährderansprache“ unterzogen. Grund sind diverse vermeintlich rechtsextreme Beiträge, die die Schülerin auf der Plattform TikTok veröffentlicht hatte.
Keiner der Beiträge ist strafrechtlich relevant, wie die Polizei von Anfang an selbst bestätigt. Dennoch halten die Behörden ihr Vorgehen bis heute für verhältnis- und damit für rechtmäßig. Vollkommen anders sieht das die Familie von Loretta B., die eine Klage gegen das Land Mecklenburg-Vorpommern und das dortige Innenministerium erhoben hat, um feststellen zu lassen, daß das Verhalten der Polizei rechtswidrig gewesen ist. Heute entscheidet das Verwaltungsgericht Greifswald über die Klage. Die JUNGE FREIHEIT ist vor Ort und berichtet im Laufe des Tages über den Verlauf und Ausgang des Verfahrens.
Mutter will „Gerechtigkeit“ für ihre Tochter
Lorettas Mutter Annett B. macht gegenüber der JF deutlich: „Meine Tochter soll rehabilitiert werden. Es ist wichtig, daß meiner Tochter hier Gerechtigkeit widerfährt, denn sie hat nichts Strafbares getan, und sowohl das Innen- als auch das Bildungsministerium haben das Verhalten der Polizei und des Schulleiters immer verteidigt.“ Gegen das Bildungsministerium und den Schulleiter hat die Familie ebenfalls geklagt, ein Verfahrenstermin wurde in dieser Angelegenheit jedoch noch nicht festgelegt.
Während der Anwalt der Familie B., der Verwaltungsrechtler Ralf Stark, gegenüber der JF betonte, das Verhalten der Polizei sei „eindeutig unverhältnismäßig“ gewesen, wollte sich der Anwalt des Landes Mecklenburg-Vorpommern nicht äußern.
Polizei stellt „keine Straftat“ fest
Im Februar 2024, als der Fall publik wurde, hatte die zuständige Polizeiinspektion Stralsund den Ablauf der Ereignisse wie folgt geschildert: „Gegen 09:45 Uhr informierte der Schulleiter die Polizei über einen möglicherweise strafrechtlichen Sachverhalt. Demnach lägen Informationen vor, wonach eine Schülerin mutmaßlich verfassungsfeindliche Inhalte in sozialen Netzwerken verbreitet haben könnte. Es wurde ein Funkwagen zur Schule entsandt, um diesen Sachverhalt zu prüfen.“
In der Schule ließen sich drei Polizisten vom Schulleiter über den Sachverhalt informieren und kamen laut Schilderung der Polizei zum Ergebnis: „Ein Anfangsverdacht einer Straftat konnte mithin nicht festgestellt werden.“ Dennoch holten die Polizisten Loretta B. im Anschluß während des Unterrichts aus ihrem Klassenzimmer und brachten die 16jährige ins Lehrerzimmer, wo sie mit dem Mädchen „eine Art Gefährderansprache, hier ein normenverdeutlichendes Gespräch“ führten, „um letztlich aufzuzeigen, daß es Straftatbestände wie Paragraph 86a Strafgesetzbuch (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen) und andere gibt“. Loretta B. sollte also deutlich gemacht werden, daß sie sich mit Beiträgen im Internet theoretisch strafbar machen könnte.
Schlumpf-Video nicht Auslöser für Polizeieinsatz
Welche Posts zum Polizeieinsatz führten, stellte sich erst nach einigen Tagen heraus. Zunächst waren Loretta und ihre Familie davon ausgegangen, der Grund sei einerseits ein Schlümpfe-Video gewesen, in dem die Schülerin mit der AfD sympathisiert hatte. Andererseits hatte sie in einem Video gesagt, daß Deutschland nicht nur ein Ort, sondern Heimat sei.
Tatsächlich waren jedoch insgesamt acht andere TikTok-Beiträge, über die die JF seinerzeit ausführlich berichtete, der Auslöser für den Polizeieinsatz. Unter anderem ging es darin um die Parole „Heimat, Freiheit, Tradition, Multikulti Endstation“ oder eine Jacke, auf die die Buchstaben „HH“ aufgestickt waren. Die Polizei sah darin möglicherweise eine Abkürzung für „Heil Hitler“, obwohl es sich um eine Jacke der bekannten Modemarke „Helly Hansen“ handelte, die etwa auch von der Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, der SPD-Politikerin Manuela Schwesig, getragen wird.