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Marc Jongen, ESN Fraktion
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Meinung: Umbruchszeiten

Meinung: Umbruchszeiten

Meinung: Umbruchszeiten

Einwanderer
Einwanderer
Einwanderer aus Afrika auf einem Schiff vor der Küste Italiens (Archivbild) Foto: picture alliance/ROPI
Meinung
 

Umbruchszeiten

Krachend prallen die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts auf die Ordnungsvorstellungen der alten Zeit. Doch anstatt zu reagieren, schwelgt Europa in Bildern von Buntheit, Vielfalt und Integration. Ein Kommentar von Thomas Fasbender.
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Deutschland als „Stabilitätsanker“, als „Ordnungsmacht“ in Europa – so liebt die Mainstream-Öffentlichkeit unser Land. Da stimmt selbst die ebenso konservative chinesische Führung ein. Ministerpräsident Li Keqiang, so wurde gemeldet, hat die Kanzlerin gebeten, den deutschen Einfluß als Garant der Stabilität geltend zu machen. Und die SPD bringt einen Kanzlerkandidaten in Stellung, dessen „Jetzt erst recht“ gegen Merkels „Weiter so“ einen spannenden Wahlkampf erwarten läßt. Ironiezeichen.

In Umbruchszeiten am Überkommenen festzuhalten hat hierzulande Tradition. Das Selbstverständis der preußischen Aristokratie in den Jahren vor Jena und Auerstedt, vor den Stein-Hardenbergschen Reformen, dürfte nicht viel anders gewesen sein. Widerstehen um jeden Preis, den unmöglichen Bonaparte niederkämpfen, ebenso die ganze Revolution des abgehängten Packs, die europäische Ordnung verteidigen, das Bewährte vor dem Unabsehbaren schützen.

An Wohlfahrt gewöhnter Westen

Nicht ohne Grund macht ein Großteil des Trump-Bashings, das durch die Medien rauscht, sich an formalen, geradezu ästhetischen Punkten fest. Der neue Präsident wird zuallererst als Stilbrecher wahrgenommen, der sich genüßlich an Ritualen und Rangordnungen vergeht. Genau das strebt Trump an. Die Ohrfeigen, die er der geheiligten Presse versetzt, die Twitter-Kommunikation mit dem Volk, das Telefonat mit der taiwanesischen Präsidentin, die provokante Antrittsrede – bewußt demonstriert er, daß hier ein amerikanischer Siegfried erschienen ist, entschlossen gordische Knoten mit dem Schwert zu teilen.

Krachend prallen die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts auf die Ordnungsvorstellungen der alten Zeit. Weil er eben kein Politiker ist, stehen dem Geschäftsmann Trump die zentralen Themen viel klarer vor Augen als der Konkurrenz aus dem System. Als da sind: China ist der eine große US-Rivale und geopolitische Herausforderer zu Lande und zu Wasser. Und der Migrationsdruck aus dem armen und überbevölkerten Süden wird zum Schicksalsthema des freien, an Wohlstand und Wohlfahrt gewöhnten Westens.

Nun kann die Politik, sei es die eines einzigen Landes oder ganzer Blöcke, historische Verschiebungen nicht aufhalten. Sowenig wie die ganze Welt den Klimawandel. Sie kann bestenfalls vorbauen und angemessen reagieren. Ob Trumps Maßnahmen Aussicht auf Erfolg haben, darüber mag man streiten ­– wobei all jene, die den Mann jetzt nur mit Verachtung strafen, sich auf Überraschungen gefaßt machen sollten.

Gigantischer Migrationsdruck

Dem Machtzuwachs der Chinesen will der neue Präsident vorbauen, indem er Wertschöpfung nach Amerika zurückholt, das Land re-industrialisiert und fit macht für die pazifische Konfrontation. Und auf den wachsenden Migrationsdruck aus dem Süden reagiert er – mit einer Mauer.

Dahinter steht die Überzeugung, daß unser christlich-europäisches Selbstverständnis weder auf fremde Kulturen übertragbar ist noch von der Masse zuwandernder Fremder übernommen wird. Die Schlußfolgerung: Wenn der Westen – Nordamerika, Europa, Australien – sich seine Eigenart und Eigenheiten bewahren will, muß er wirtschaftlich (und militärisch) stark sein, unabhängig, und die Zuwanderung kontrollieren.

Realistisch betrachtet ist Europa ärger dran als die sogenannte Neue Welt. Zwar ist der satte und saturierte, friedenssehnsüchtige Kontinent 70 Jahre nach Ende der Kolonialzeit niemandes Rivale mehr. Um so erschreckender ist die Lage in Sachen Migrationsdruck. Weniger als eine halbe Milliarde Menschen lebten 1980 im unmittelbar benachbarten Afrika. Heute sind es 1,2 Milliarden, und 2050 werden es doppelt so viele sein. In jedem einzelnen Monat wächst Afrika um 3,5 Millionen Menschen, das ist die gesamte Einwohnerschaft Berlins.

Die „werteorientierte Politik“ hat ein Verfallsdatum

Und wir? Schwelgen in Bildern von Buntheit, Vielfalt und Integration, ergehen uns in Euphemismen wie „Asylsuchende“ und „Flüchtlinge“. Derweil auf der anderen Seite des Mittelmeers: Zig Millionen, die in ihrer Heimat schier „überschüssig“ sind. Afrika nährt den massenhaften Zuwachs nicht.

Und er wird sich Bahn brechen. Mit Fug und Recht darf man annehmen, daß unsere Enkel- und Urenkelgenerationen das nicht tatenlos hinnehmen. 3,5 Millionen im Monat? Wir ahnen schon: Die zartbesaitete „werteorientierte Politik“ (die zur Zeit der europäischen Weltherrschaft noch völlig unbekannt war) hat durchaus ein Verfallsdatum.

Ob Trumps Mauerprojekt an der mexikanischen Grenze den Zustrom von jährlich mehreren hunderttausend stoppen wird, sei dahingestellt. Vielleicht entsteht ein Fundament, auf dem die nächste Politikergeneration aufbauen kann. Es ist auch völlig offen, ob er Amerika wieder groß und mächtig macht. Zweifel sind legitim. In jedem Fall ist der neue Präsident im 21. Jahrhundert angekommen, und das nicht nur in der Art und Weise, wie er kommuniziert. Die Brüche, die Stürme und die Fluten, die diesem Jahrhundert zu eigen sein werden, nimmt er gewissermaßen vorweg. Unsere Schönwetterpolitiker werden sich noch umsehen.

Einwanderer aus Afrika auf einem Schiff vor der Küste Italiens (Archivbild) Foto: picture alliance/ROPI
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