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Corona-Proteste: „Friede und Freiheit“ lautet das Mantra

Corona-Proteste: „Friede und Freiheit“ lautet das Mantra

Corona-Proteste: „Friede und Freiheit“ lautet das Mantra

Tausende Demonstranten protestieren am Brandenburger Tor und im Regierungsviertel gegen die Corona-Politik der Regierung.
Tausende Demonstranten protestieren am Brandenburger Tor und im Regierungsviertel gegen die Corona-Politik der Regierung.
Tausende Demonstranten protestieren am Brandenburger Tor und im Regierungsviertel gegen die Corona-Politik der Regierung. Foto. picture alliance / Frederic Kern / dpa
Corona-Proteste
 

„Friede und Freiheit“ lautet das Mantra

Am Mittwoch vereinten sich tausende Menschen von unterschiedlichstem Schlag vor dem Brandenburger Tor, um gegen die Neuerungen des Infektionsschutzgesetzes zu demonstrieren. Der guten Stimmung setzten auch die Wasserwerfer der Polizei kein Ende. Eine Reportage von Martina Meckelein und Hermann Rössler.
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Ausruhen auf einer Bank am Platz des 18. März, schräg gegenüber des Brandenburger Tors. Ein Pärchen kommt dazu. „Haben Sie etwas dagegen, wenn wir uns hier unter Nichtbeachtung des Abstands zu Ihnen setzen?“ Nicht im Geringsten. Nun sitzen sie zu fünft, wie die Hühner auf der Stange. Tausende beteiligen sich an der sogenannten Corona-Demo. Sie kommen vom Hauptbahnhof, vom Potsdamer Platz, von der Siegessäule.

Menschen aus ganz Deutschland: Thüringer, Hamburger, Baden-Württembeger, Sachsen. Viele sind die Nacht durchgefahren. Ihr Ziel ist das Brandenburger Tor. Jetzt tun die Füße vom Anmarsch und langem Stehen weh. Die auf der Bank kommen ins Gespräch. Klar, Corona und die Einschränkung der bürgerlichen Rechte. Plötzlich machen Scheiben von jungem Gouda die Runde. „Bitte greifen Sie zu, habe ich frisch vom Wochenmarkt.“ Anschließend gibt es Kinderschokolade-Riegel.

Vergleiche zum Dritten Reich sind nicht selten

Zwei Stunden zuvor: „Friede, Freiheit, Merkel muß weg!“ So skandieren Demonstranten vor dem ARD-Gebäude am Reichstagufer. Der Bundestag beschließt an diesem Mittwoch eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes und hebt damit Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie auf eine rechtliche Grundlage. Gegner wittern ein zweites Ermächtigungsgesetz. „Aus einem ‘nie wieder’ wird ein ‘schon wieder’“, ruft ein grau gelockter älterer Herr, der einen Rollkofferlautsprecher hinter sich herzieht.

„Friede“ ist vielen der Teilnehmer ein Anliegen.
„Friede“ ist vielen der Teilnehmer ein Anliegen. Foto: JF

Der Mann ist nicht der einzige, der einen Vergleich zum Dritten Reich zieht. Eine Frau steht auf einem Rednerpodest gegenüber des ARD-Hauptstadtstudios und stellt sich als Pädagogin vor. In ihrer Arbeitsstätte habe sich die Frage aufgetan, wie Kinder zu kennzeichnen seien, die sich nicht durchgängig an die Maskenpflicht hielten. „Da sag ich: Ab, den Judenstern in die Fresse oder was?“

Einige wenden sich ab. „Was soll das denn?“, fragt eine Frau eingeschüchtert ihre Freundin. „Solche Leute brauchen wir“, tönt dagegen eine derbe Stimme aus dem Off. Eine Frau in weiten Hosen und bunt gemustertem Oberteil verteilt weiße Rosen. An ihrer Brust heftet ein dem Judenstern nachempfundenes Papier, auf dem steht: „Zu hoher IQ“. Zusammen mit ihren Rasta-Freunden mischt sie eine Art Weihrauch zusammen und beräuchert die Gegend um sie herum.

„Friede und Freiheit“, so lautet das Mantra, das die Demonstranten der unterschiedlichsten Couleur vereint. Die Siebenten-Tags-Adventisten verteilen auf der Straße des 17. Juni Schriften ihrer Gründerin. „Jesus liebt dich“, halten zwei Freikirchler auf einem Pappschild geschrieben in die Höhe. Eine Bühne ist an den Seiten mit dem Bild Mahatma Ghandis geschmückt. „Ich bin kein Nazi, ich bin kein AfDler, ich bin Mahatma Ghandi“, erklärt eine Frau einem Polizisten, der sie nicht durch die Sperrung an der Seite der Allee gehen lassen will.

Polizei eskaliert, Demonstranten bleiben ruhig

Embleme der Q-Anon-Bewegung mischen sich mit einer Handvoll Reichsflaggen, während der Gesang der Hare-Krishna-Anhänger im Lärm der Trillerpfeifen meditative Extase beschwören will. „Auch Linke sind dagegen“, zeigt eine Frau in roter Jack-Wolfskin-Jacke auf einem Plakat. Kleinfamilien stehen neben Hippies, Künstlern, Glatzen und eindrücklich parfümierten Frauen mit Louis-Vuitton-Taschen. Alle friedlich. Bunter könnte der Widerstand gegen die Gesetzesänderung nicht sein.

„Auch Linke sind dagegen“, steht auf einem Plakat.
„Auch Linke sind dagegen“, steht auf einem Plakat. Foto: JF

Doch dann macht ein Gerücht die Runde. Auf der Straße des 17. Juni heißt es plötzlich: „Die fahren Wasserwerfer auf!“ Reaktion: „Quatsch, wo?“. Die Menschen rennen nach vorne, als wollten sie es nicht glauben und müßten sich darüber mit ihren eigenen Augen vergewissern. Und wirklich: Es stehen auf der Ebertstraße zwei Wasserwerfer mit eingeschaltetem Blaulicht.

Dann eine Durchsage aus einem Lautsprecherwagen der Polizei, der vor dem Brandenburger Tor steht: „Aufgrund der Nichteinhaltung des Mindestabstandes und des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung verstoßen Sie gegen die Infektionsschutzverordnung. Diese Versammlung wird hiermit durch die Polizei aufgelöst. Bitte entfernen Sie sich in Richtung Süden/Potsdamer Platz. Bei Nichteinhaltung begeben Sie sich in den Bereich polizeilicher Maßnahmen. Die Zeit: 11.52 Uhr“.

Eine Frau stellt sich vor einen Polizeiwagen.
Eine Frau stellt sich vor einen Polizeiwagen. Foto: JF

Wohlgemerkt: Der Lautsprecherwagen steht mutterseelenallein, umringt von hunderten von Demonstranten. Keiner faßt das Auto an, niemand bewirft es mit Eiern. Alleine eine bildhübsche Frau steht vor dem Einsatzwagen, gesenkter Kopf und erhobene Arme, die Finger zum Friedenszeichen ausgestreckt. Die Vorstellung, daß diese Friedfertigkeit auf einer Linken-Demo möglich wäre – reinste Phantasterei.

„Ihr macht Euch gegen uns schuldig“

Hier wird „Bitte“ und „Danke“ gesagt und „Entschuldigung“ wenn man einen Mitdemonstranten aus Versehen angerempelt hat. Doch durch die Drohung der Polizei und das Auffahren der Wasserwerfer gellt nur noch ein ohrenbetäubendes Pfeiff- und Trommelkonzert über den Platz. Manche Demonstranten schlagen mit Kochlöffeln auf Topfdeckel. Polizeihunde kläffen. Dann, kurz nach halb eins: Wasser marsch!

Die Polizei setzt Wasserwerfer ein.
Die Polizei setzt Wasserwerfer ein. Foto: JF

Es ist nicht so, daß die Polizei gezielt auf die Menschen den Wasserstrahl richtet. In einem weiten Bogen prasselt das Wasser auf die Demonstranten nieder. Eine alte Frau mit Krücken steht wie festgemauert auf dem Asphalt. Eine andere Dame spricht sie an: „Das ist doch viel zu gefährlich für Sie, kommen Sie, ich bringe Sie hier weg.“ Familien mit Kindern ziehen sich Richtung Siegessäule zurück. Polizisten in Vollmontur gehen durch die Menge. „Ihr macht Euch gegen uns schuldig“, ruft ihnen empört eine Frau entgegen. „Ihr habt Blut an Euren Händen, ihr hetzt Hunde auf uns und Wasserwerfer!“

Den Einsatz der Wasserwerfer begründet die Polizei später per Twitter, es habe dem „Schutz aller“ gedient, die Demonstration aufzulösen. „Sprühnebel kann man das nennen“, erklärt die Polizei der JUNGEN FREIHEIT die nicht voll aufgedrehten Wasserwerfer. Zuletzt fuhr die Polizei 2013 Wassergeschütze auf, ebenfalls bei einer Demonstration. Die Bilanz des gestrigen Tages sind zehn verletzte Polizisten von insgesamt 2.400 Einsatzkräften.

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365 Demonstranten wurden unter anderem wegen Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz vorrübergehend festgenommen, bei zwei von ihnen wird ein Haftbefehl geprüft. Einsatzleiter Stephan Katte schrieb auf Twitter, er ziehe den Hut davor, „wie Kolleginnen und Kollegen trotz fortlaufender Beschimpfungen und steigender aggressiver Stimmung die Ruhe bewahrt, sich nicht haben provozieren lassen und angemessen agierten“.

Tausende Demonstranten protestieren am Brandenburger Tor und im Regierungsviertel gegen die Corona-Politik der Regierung. Foto. picture alliance / Frederic Kern / dpa
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