Menschen können über Nacht alt und grau werden. Gesetze auch. Am Anfang unserer Verfassung steht immer noch der Satz, daß die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht binden. Eine staatsgefährdende Regelung. Nach alter Lesart garantieren die Grundrechte dem Bürger einen unentziehbaren Freiraum, den er nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten darf. Er genießt Meinungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit und soll auf dieser Grundlage sogar berechtigt sein, dem Staat mit Forderungen entgegenzutreten. Wo führt das hin? Eben, zu Pegida.
Es ist an der Zeit, unsere Verfassung um einen ungeschriebenen Grundsatz zu ergänzen: Grundrechte dürfen nur noch unter Beachtung der jeweils geltenden öffentlichen Moral ausgeübt werden. Unser Außenminister Frank-Walter hat das verstanden. Alle Befürchtungen, er könnte sich auf seinen Auslandsreisen für das heimische Modell des liberalen Rechtsstaats einsetzen, hat er mit einem Satz widerlegt:
„Bei uns wird unterschätzt, welchen Schaden die fremdenfeindlichen und rassistischen Sprüche und Plakate der Pegida schon jetzt angerichtet haben.“ Sollten wir nicht von Saudi-Arabien lernen? Stockschläge für unüberlegte Freiheitsregungen? Steinmeier verdient es jedenfalls, in einem Atemzug mit Metternich genannt zu werden: Bürgerliche Freiheiten sind nicht jedermanns Sache.
Grundrechte sind Abwehrrechte des Staates gegenüber seinen Bürgern
Aufzuräumen ist auch mit der Vorstellung, Grundrechte seien Abwehrrechte des einzelnen gegenüber dem Staat. Es verhält sich genau umgekehrt. Grundrechte sind Abwehrrechte des Staates gegenüber seinen Bürgern, genauer gesagt gegenüber denjenigen, die von ihrer Freiheit falschen Gebrauch machen. Diese Erkenntnis verdanken wir unseren Oberbürgermeistern.
Landauf und landab rufen sie in amtlicher Eigenschaft alle Anständigen und Gerechten zu Gegendemonstrationen auf oder organisieren diese gleich selbst. Wie Zauberlehrlinge mobilisieren sie einen Teil der Bürger gegen den anderen und hoffen, daß das gut geht. Nun wird ständig und überall gegendemonstriert und dabei geschmäht und blockiert. Kurzer Zwischenruf an Polizei und Staatsanwaltschaften: Haltet euch da, bitte, weiter zurück!
Düsseldorf sieht sich an Recht und Gesetz nicht gebunden
Ein Vorbild für die ganze Branche ist der Oberbürgermeister von Düsseldorf. Der trotzt sogar Gerichten, diesen Relikten aus Zeiten des Rechtsstaatsprinzips. Da er nach eigener Einschätzung kein „seelenloser Technokrat“ ist, sind Gerichtsentscheidungen für ihn nicht bindend. Damit hatten selbst die wackeren Richter vom Verwaltungsgericht Düsseldorf nicht gerechnet, die dem Oberbürgermeister per einstweiliger Anordnung untersagt hatten, aus dem Amt heraus zu Gegenmaßnahmen gegen eine geplante Versammlung der „Dügida“ (Pegida Düsseldorf) aufzurufen.
In ihrem Beschluß von Anfang Januar hieß es treuherzig: „Die Antragstellerin [Dügida] hat keine Anhaltspunkte vorgetragen, aus denen sich ergäbe, daß der Antragsgegner [die Stadt Düsseldorf, vertreten durch den Oberbürgermeister] der Entscheidung des Gerichts zuwiderhandeln würde. Solche Anhaltspunkte sind auch von Amts wegen nicht ersichtlich.“ Was für eine göttliche Komödie! Statt den Oberbürgermeister mit einem Disziplinarverfahren zu überziehen, sollte ihm der Orden wider den tierischen Ernst verliehen werden.
Mit Wärmebildkameras Kälte im Herzen aufspüren
Genial ist auch die Aktion „Lichter aus“. Da sieht man einmal, wozu die kommunale Daseinsvorsorge nicht alles gut ist. Wer sich durch unziemliche Ansichten selbst aus der Gemeinschaft herausdividiert, dem wird künftig nicht mehr heimgeleuchtet werden. Ein zukunftsweisendes Modell: Kein Strom, Gas und Wasser für Pegida-Anhänger. Wer an eigener Haut erlebt hat, wie sich staatliche Verfolgung anfühlt, wird bald nichts mehr gegen unbegrenzte Einwanderung vorzubringen haben.
Wenn man bloß wüßte, wo die Burschen wohnen. Hilfreich beim Aufspüren Andersdenkender war jedenfalls die Neujahrsansprache der Kanzlerin. Das sind Menschen, so Frau Merkel, die Vorurteile, Kälte, ja sogar Haß in ihrem Herzen haben. Mit Wärmebildkameras ließe sich da vielleicht etwas ausrichten.
„Mit Recht gegen Rechts“
Lenken wir zum Schluß unseren Blick nach Dresden, dort, wo das ganze Unheil seinen Lauf genommen hat. Wie zu Erichs Zeiten lädt man auch hier wieder zu Jubelfeiern von oben ein, nur heißen die Veranstalter jetzt Helma und Stanislaw. Zu dem Staatsspektakel „Für Dresden, für Sachsen – für Weltoffenheit, Mitmenschlichkeit und Dialog im Miteinander“ kamen Anfang Januar sogar ein paar tausend Menschen. Der gute deutsche Michel!
Zuvor war die Werbetrommel ordentlich gerührt worden. Selbst auf den dienstlichen Intranetseiten von Behörden und – man höre und staune – den von Gerichten. Das erinnert an die Nacht-und-Nebel-Aktion eines ehemaligen sächsischen Justizministers, der im Eingangsbereich des Fachgerichtszentrums in Dresden ein Plakat mit der Aufschrift „Mit Recht gegen Rechts“ aufhängen ließ. Der Zweck heiligt eben jedes Mittel. Ob das alle Richter verstanden haben?
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Dr. Markus Scheffer ist Richter am Verwaltungsgericht Dresden.
JF 8/15