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Syrisches Kriegstagebuch: In Hama stockt die Revolution

Syrisches Kriegstagebuch: In Hama stockt die Revolution

Syrisches Kriegstagebuch: In Hama stockt die Revolution

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Syrisches Kriegstagebuch
 

In Hama stockt die Revolution

In Hama, auf halbem Weg zwischen Damaskus und Aleppo, hat nach wie vor das Assad-Regime das Sagen. Die Opposition bringt nur wenige Demonstranten auf die Straße, hofft aber auf bessere Zeiten. Vielleicht vergebens. Aus Syrien berichtet Billy Six.
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„Der Märtyrer ist Allahs Liebling“ – Demonstration in Kafr Setah (Hama-Provinz)
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Islamische Miliz bewacht Landstraße in der Provinz Hama
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Al-Latamina (Hama-Provinz) – Die Gräber der Märtyrer sind noch frisch Fotos (3): Billy Six

KAFR SETAH. Der Bessere werde siegen, hatte Scheich Hussein al-Hamisch gesagt. Gut zwei Dutzend Zuhörer waren dabei gewesen. Vor vielen Wochen. In einem langweiligen Ort südlich von Aleppo. Über Stunden hatten sich sunnitische Geistliche mit ihrem Gast aus Deutschland unterhalten – über Religion und Revolution. Wenn das Recht mit dem Sieger sei, so die letzte Frage, dann habe der syrische Präsident Hafis al-Assad also korrekt gehandelt, als seine Armee im Februar 1982 die mittelsyrische Stadt Hama in Schutt und Asche bomben ließ?! Mancher war geschockt. Doch der studierte Imam verstand die Ironie: „Die Desaster im Leben eines Muslims sind Befehle von Allah.“ 

Merkwürdige Ruhe im Zentrum Syriens

Hama: Fruchtbares Ackerland. Wiege fast 8000jähriger mediterraner Zivilisation. Heimat von Sunniten, Schiiten, Alawiten, Ismaeliten und Christen. Brennpunkt des Krieges? Die Reise ins Herz Syriens offenbart: Alles ist weniger schlimm, als zunächst befürchtet.

Die Versorgungslage im Umland der ursprünglich 550.000 bis 700.000 Bewohner zählenden Stadt, deren Einwohnerzahl angeblich durch Binnenflüchtlinge auf 2,5 Millionen angestiegen sei, ist zufriedenstellend. Sogar manch Bekannter aus der sunnitischen Unruheprovinz Idlib im Norden hat sich hierher in Sicherheit gebracht. In den Kleinstädten Kafr Setah und Al-Latamina kam es letztmalig im Spätsommer zu vereinzelten Angriffen mit Hubschraubern und Panzern. Inzwischen herrscht ein faktischer Waffenstillstand. Die Bevölkerung duldet für den Moment die zahlreichen Stützpunkte der Armee jenseits der Zentren und Verbindungstraßen. Assads Soldaten ignorieren ihrerseits die stets nach dem wöchentlichen Freitagsgebet stattfindenden Demonstrationen einiger Hundert Einwohner gegen die Regierung.

Eine Fahrt ins Stadtgebiet von Hama sei jedoch ausgeschlossen, sagen Rebellen ebenso wie Einwohner. Ausgerechnet in der Hochburg des Aufstandes von 1982 habe die aktuelle Revolution derzeit einen schweren Stand, heißt es. Überraschenderweise. Rebellenkämpfer Suwair „Abu Harb“: „In der Provinz Hama ist die Armee deshalb so stark, weil alles Flachland ist. Es gibt kaum Versteckmöglichkeiten im Gelände. Außerdem liegt Hama im Zentrum des Landes. Wir haben keine nahe Verbindung zum Ausland. Idlib hat die Türkei. Homs den Libanon. Und Deir al-Sur den Irak.“

Die Straßen, so wird in den 20 bis 30 Kilometer entfernten Vororten berichtet, wären voll von Angehörigen der Staatsmacht – Armee, Geheimdienst, „Schabiha-Milizen“. Wenn es überhaupt zu einem Hinterhalt oder sporadischen Protestaktionen komme, dann zu nächtlicher Stunde.

Die Assad-Gegner behaupten, im Juli 2011 seien bis zu 650.000 Demonstranten gegen ihre Regierung auf die Straße gegangen. Das ist schwer vorstellbar. Angesichts der fehlenden Beteiligung von Frauen erscheinen Zweifel am Ausmaß der Aufmärsche in Syriens viertgrößter Stadt umso mehr angebracht. Fotos zeigen einen 200 bis 300 Meter langen Platz in der Innenstadt – voller Menschen. Aber wer kann sie schon zählen? Einer der aus Hama geflohenen Kämpfer berichtet, daß die Autoritäten dem Wunsch des Volkes nachgekommen seien, und „eine 50 Meter hohe Statue“ von Langzeitdiktator Hafis al-Assad entfernt hätten. „Das haben sie nur getan, um an das wertvolle Metall heranzukommen“, behauptet er.

Das Trauma wirkt bis heute

Daß Syriens sunnitisch-islamische Mehrheit die alawitisch-säkulare Minderheiten-Regierung als „ungläubig“ ablehnt, kann als gegeben vorausgesetzt werden. Das sunnitische Hama gilt dazu als konservativ, und zahlte dazu in der Vergangenheit für den Heiligen Krieg der Muslimbrüder einen hohen Blutzoll. Doch was geschah 1982 genau? Damals, vom 01. bis 26. Februar 1982, als zwischen 20.000 und 40.000 Einwohner bei der Vernichtung Hamas ihr Leben gelassen haben sollen? Vielleicht „bis zu 100.000 Ermordete“, wie manch Syrer gar bei Allah schwört?!

„Das Problem zwischen Moslembrüdern und Baath-Partei bestand bereits seit 1964“, so Ex-Oberst Hassun Ali al-Aradsch, der von 1980 bis 1994 wegen seines sunnitischen Glaubens selbst im Gefängnis saß, wie er sagt. Von Beginn an habe es eine Auseinandersetzung um die Frage gegeben, ob das unabhängige Syrien islamisch oder säkular regiert werden solle. Die frommen Vertreter des politischen Islam hätten die neue Verfassung als Kriegserklärung an den Islam verstanden, und den bewaffneten Kampf begonnen. So bezeichnet denn auch Geschichtslehrer Mustafa die mehrtägige Herrschaft der Muslimbrüder über Hama als „islamische Revolution“. Die Reaktion der in ihrem Bestand bedrohten Regierung habe in „unbeschreiblicher Grausamkeit“ bestanden, so Mustafa, ebenfalls Zeitzeuge wie Hassun. Mit Panzern, Artillerie und Hubschraubern seien 30 Prozent der gesamten Stadtfläche bis auf die Grundmauern zusammengeschossen worden. Das Ergebnis: Ein unzweifelhafter Sieg für den Diktator, wie Mustafa widerwillig zugibt. Und ein Ende der Aktivitäten seitens der Muslimbrüder. Heute sind es die Salafisten, welche als Vorkämpfer das „Schwert des Islam“ (szaif al-islam) erheben.

Auf eine Frage gibt es stets interessante Antworten: Warum hat Allah seinen Kriegern in jener schweren Stunde nicht beigestanden? Stets wird von der „ungeahnten Weisheit Allahs“ berichtet, die der begrenzte menschliche Verstand nicht erfassen könne. Der Arzt Dr. Abu Abdul Asis, damals noch ein kleiner Junge, meint: „Die Muslimbrüder hatten 1982 viele Fehler. Sie haben ihren Kampf ohne die Bevölkerung geführt und standen dann allein.“

Ohne Allah kann der Muslim nicht handeln

Gegenüber westlichen Gästen versuchen studierte arabische Muslime, ihren Glauben „naturwissenschaftlich und mathematisch“ zu belegen. Das islamische Dogma der Vorbestimmung, ein Zustand völliger Abhängigkeit von den Entscheidungen Allahs, befindet sich dagegen in Konflikt mit den Anforderungen eines selbstbestimmten Lebens. Wenn Allahs Mißgunst deutlich wird, ist es für den Muslim an der Zeit, die Seiten zu wechseln. „Kein Unglück trifft (jemanden), außer mit Allahs Erlaubnis.“ (Koransure 64, Vers 11)

Es fällt auf, daß sich Afghanistans Taliban-Regierung (2001), Iraks Saddam-Diktatur (2003) oder auch Gaddafis Dschammaharrija in Libyen (2011) nach Anfangs großspurigen Ankündigungen und teils zähem Kampf dann doch überraschend schnell auflösten. Wer denkt da nicht an die Schlacht von Poitiers im Oktober 732, der legendären „Rettung des Abendlandes“, als das fränkische Heer Karl Martells eine unerklärliche Entdeckung machte: Nach der Tötung ihres Anführers Abd ar-Rahman war die gesamte muslimisch-arabische Invasionsarmee über Nacht spurlos verschwunden.

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