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Bernd Zimniok, Demografie, Massenmigration

Kulturbedingte Blindheit

Kulturbedingte Blindheit

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Kulturbedingte Blindheit

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Zeichnen können, heißt nicht zuletzt: weglassen können. So viel weiß der bildende Künstler. Über den Grad, in dem dies Weglassen auf eine bewußte Entscheidung des Künstlers zurückgeht oder einem unbegründbaren ästhetischen Empfinden folgt, läßt sich streiten. Auf höherer Ebene zeichnet sich auch jede Kultur dadurch aus, daß sie die Welt auf eine bestimmte Weise wahrnimmt. Manches wird hervorgehoben und geschätzt, anderes wenig beachtet, vieles überhaupt nicht bemerkt. Das ist dort, wo es Kultur im vollen Wortsinn gibt, kaum ein bewußter Prozeß. So viel weiß der Kulturwissenschaftler.

In diesem Sinn erscheint es manchmal so, als sei die bundesdeutsche Schuldkultur in diesem Sinn eine voll entwickelte Kultur. Sie sieht nicht einmal das, was für den Außenstehenden völlig offenkundig ist und sich unmittelbar vor ihrer Nase befindet. Man kann deshalb oft auch nicht sagen, es werde bewußt die Unwahrheit verbreitet oder verschwiegen. Die merkwürdigen Beiträge, die zu Fragen der Weltkriegsära häufig publiziert werden, liefern ihre eigene Widerlegung nämlich mit großer Regelmäßigkeit gleich mit.

Zu diesen Gedanken führte kürzlich wieder ein triumphierender Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen, der sich an die immer noch lebhafte Debatte zum Ersten Weltkrieg anschloß. Es ging einmal mehr um die „Riezler-Tagebücher“ von Kanzlerberater Kurt Riezler, aus denen die Verfechter deutscher Hauptverantwortung seit Jahrzehnten partout herauslesen wollen, daß die deutsche Regierung 1914 zwar aus einem Bedrohungsgefühl heraus, aber dann mit voller Absicht in den Krieg gezogen sei. Der Spiegel etwa behauptete das schon vor einem halben Jahrhundert.

Ein erschütterndes Bild

In der FAZ nun äußerte sich neulich Bernd Sösemann, emeritierter Professor für Geschichte der öffentlichen Kommunikation, über eine Neuinterpretation einer besonderen Stelle der Tagebücher: Es müsse an einer Stelle in Bezug auf die Lage in Ostpreußen nicht „unhaltbar“ gelesen werden, wie bisher vermutet, sondern „hinhaltbar“. Riezler müßte so gelesen werden:

„Hohenfinow 7. 7. 14. Gestern mit dem Reichskanzler herausgefahren. Das alte Schloss, die wundervollen ungeheuren Linden, die Alleen wie ein gotisches Gewölbe. Überall lastet noch der Tod der Frau. Melancholie und Beherrschung in Landschaft und Menschen. (…) Die geheimen Nachrichten, die er mir mitteilt, geben ein erschütterndes Bild. Er sieht die englischrussischen Verhandlungen über eine Marineconvention, Landung in Pommern sehr ernst an, letztes Glied in der Kette. Lichnowsky viel zu vertrauensselig. Der liesse sich von den Englaendern hereinlegen. Russlands militärische Macht schnell wachsend; bei strategischem Ausbau Polens die Lage hinhaltbar. (Das ist also der Punkt, nicht, daß Sie ihn überlesen, S.Sch.) Oesterreich immer schwächer und unbeweglicher; die Unterwühlung von Norden und Südosten her sehr weit vorgeschritten. Jedenfalls unfähig, für eine deutsche Sache als unser Verbündeter in den Krieg zu ziehen. Die Entente weiss, das wir infolgedessen völlig lahmgelegt. (…) Der Kanzler erwartet von einem Krieg, wie er auch ausgeht, eine Umwälzung alles Bestehenden. Das Bestehende sehr überlebt, ideenlos, ,alles so sehr alt geworden. Heydebrand habe gesagt, ein Krieg würde zu einer Stärkung der patriarchalischen Ordnung und Gesinnung führen. Der Kanzler empört über solchen Unsinn. Überhaupt ringsherum Verblendung, dicker Nebel über dem Volke. In ganz Europa das gleiche. Die Zukunft gehört Russland, das wächst und wächst und sich als immer schwererer Alb auf uns legt.“

Aus diesem umfangreichen Lamento des deutschen Regierungschefs über den Ernst der Lage und immer näher kommenden Schlag der Gegner, von dem man in Berlin manchmal ahnte, daß man ihn nicht verhindern und wohl kaum abwehren würde können, liest Sösemann nur eines heraus: den Beleg eines „unverantwortlichen Hasardspiels der Reichsleitung“, die Lage im Osten für „hinhaltbar“ erachtet habe.

Wir wollen jetzt gar nicht groß darauf instieren, daß der fragliche Satz nur bei „unhaltbar“ einen Sinn ergibt und daß mit dem „strategischen Ausbau Polens“ garantiert nicht, die Sösemann glaubt, der Ausbau des deutschen Straßennetzes in Richtung Ostpreußen (!) gemeint war, sondern eben die großen russischen Investitionen ins Eisenbahnnetz in Polen. Das ist eigentlich klar zu sehen – es sei dann, man gehört zur Schuldkultur.

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