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Es ist eines der englischsten aller Spiele. Es erfordert subtiles Denken über mehrere Banden, große Geduld in langweiligen Phasen und stete, hohe Präzision. Sein Ziel: Den Gegner in eine Position zu manövrieren, in der er es nicht vermeiden kann, ein Foul zu begehen. Dann ist er gesnookert. Die Rede ist vom Billiard.

Der erste, sofort offenkundige Unterschied zur Politik: Beim Billiard liegt zu jeder Zeit alles sichtbar auf dem Tisch. Aber dennoch bleiben Parallelen, zum Beispiel das Spiel über die Bande und das leise Herstellen einer Situation, die den Gegner ins Unrecht setzt. Wie bereitet man eigentlich Krieg vor, ohne die Sache je beim Namen zu nennen? Wie lassen sich verbindliche schriftliche Abmachungen herstellen, zu deren Abschluß man in der eigenen Position gar nicht berechtigt ist? Solche Fragen müssen den britischen Außenminister Edward Grey in den Jahren vor 1914 sehr beschäftigt haben. Später wurde er viel dafür kritisiert, nicht laut und öffentlich die britische Kriegsbereitschaft nach Berlin signalisiert zu haben. Damit sei der Krieg wegen der fehlenden Abschreckung wahrscheinlicher geworden.

Das mag zutreffen, läßt aber noch keinen Schluß auf die wirklichen Motive Greys zu. Genauso gut denkbar – und vielfach vermutet worden – ist eine Falle für die arglosen Deutschen. Denn Grey bereitete seit Jahren mit Gesprächen und verbindlich-unverbindlichen Briefwechseln eine Kriegsteilnahme Großbritanniens an der Seite Frankreichs und Rußlands gegen Deutschland vor. Längst wurden genaue Absprachen getroffen, daß die britische Flotte im Krisenfall die Deckung der französischen Nordküste übernehmen und die Landung der eigenen Truppen eben dort sichern würde. Eine vorher noch fehlende Landstreitkraft wurde eigens für diesen Zweck aufgebaut, und britische Offiziere sondierten schon mal die künftigen Schlachtfelder.

„Mein lieber Botschafter“

Das britische Parlament wußte offiziell und wohl auch überwiegend tatsächlich nichts davon. Man war mehr als erstaunt, als Grey im Vorfeld der Kriegserklärung an Deutschland Anfang August 1914 mit seinen Briefen herausrückte. Berühmt geworden ist zum Beispiel dieser hier vom 22. November 1912 an den französischen Botschafter in London:

„Mein lieber Botschafter: In den vergangenen Jahren haben sich von Zeit zu Zeit die britischen und französischen Militärexperten für Fragen der Land- und Seekriegsführung gegenseitig konsultiert. Es war immer selbstverständlich, daß jede solche Konsultation die zukünftige Entscheidungsfreiheit beider Regierungen darüber, ob sie bewaffnete Unterstützung leisten wollen oder nicht, nicht berührt. Wir kamen darüber überein, daß keine Konsultation unter Experten als Verpflichtung der Regierungen verstanden werden kann, in einem Fall der noch nicht eingetreten ist und vielleicht nie eintreten wird, auf bestimmte Weise zu handeln. Zum Beispiel beruht die derzeitige Stationierung der britischen und französischen Flotte nicht auf der Absicht, im Kriegsfall zusammenzuarbeiten.

Sie haben jedenfalls angeregt, daß es für den Fall eines unprovozierten Angriffs durch eine dritte Macht für beide Regierungen günstig wäre, zu wissen, ob sie auf die Unterstützung der anderen zählen kann.

Sollten diese Absprachen zu Taten führen …

Ich stimme darin überein, daß es für den Fall eines solchen unprovozierten Angriffs einer dritten Macht, oder für eine andere Bedrohung des allgemeinen Friedens, angebracht wäre, wenn sich beide Regierungen sofort darüber miteinander verständigen würden, ob sie gemeinsam etwas zur Wahrung des Friedens unternehmen wollen und was dafür gegebenenfalls zu unternehmen wäre.

Sollten diese Absprachen zu Taten führen, würden die vorliegenden Pläne der Generalstäbe berücksichtigt werden, und beide Regierungen müßten entscheiden, in welchem Sinn dies geschehen würde.“

Treuherzig versicherte Grey dem Parlament, ihm mit dieser Formulierungskunst völlige Entscheidungsfreiheit gelassen zu haben. Aber könne man denn wirklich die Franzosen mit ihrer auf Treu und Glauben ungedeckten Küste allein lassen? Man konnte nicht. So zogen denn Frankreich und England im August 1914 in den gemeinsamen Krieg, in völliger Entscheidungsfreiheit, nach ebenso genauen wie unverbindlichen Militärabsprachen und natürlich – zur Wahrung des Friedens. Und die Deutschen wurden angeklagt, das Foul begangen zu haben.

 

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