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Meinung: Die Geisel Yücel ist frei: Elemente des Deals mit Erdogan

Meinung: Die Geisel Yücel ist frei: Elemente des Deals mit Erdogan

Meinung: Die Geisel Yücel ist frei: Elemente des Deals mit Erdogan

Gabriel
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Sigmar Gabriel mit dem türkischen Außenminister Mevlut Cavusoglu auf der Sicherheitskonferenz in München Foto: picture alliance/ AA
Meinung
 

Die Geisel Yücel ist frei: Elemente des Deals mit Erdogan

Sigmar Gabriel hat schon mal besser gelogen, als er nach der Freilassung des Journalisten Deniz Yücel beteuerte, es gebe keinen Deal mit der Türkei. Natürlich gab es einen Preis für die Geisel Yücel. Ein Kommentar von Jürgen Liminski.
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Sigmar Gabriel hat schon mal besser gelogen. Weder im „heute-journal“ noch in den „Tagesthemen“ klang es überzeugend, als er am Abend nach der Freilassung von Deniz Yücel beteuerte, es gebe keinen Deal mit der Türkei, „weder einen schmutzigen noch einen sauberen“, man habe immer nur über Verfahrensfragen geredet, die „Türkei hat nichts verlangt und hätte auch nichts bekommen“, sie habe noch nicht einmal nach einem Preis gefragt, alles sei „ein Akt der Diplomatie“ gewesen.

Schon diese Aussagen sind Teil des Deals. Das mag man noch hinnehmen. Aber daß er den Eindruck erweckt, beim Regime Erdogan handele es sich um eine Demokratie mit unabhängiger Justiz, war nicht nötig. Hier ist er beim orientalischen Basar-Spiel mit unbekanntem Einsatz zu weit gegangen.

Natürlich gab es einen Preis für die Geisel Yücel. Ein Despot wie Erdogan macht so eine Geisel nicht erst prominent und läßt sie dann einfach laufen. Der Preis ergibt sich aus den Umständen und aus Äußerungen Gabriels und Merkels. Zunächst: Die Türkei hat ernsthafte wirtschaftliche Probleme und braucht Kredite. Für die Sippe Erdogan selbst laufen die Geschäfte schlechter, seit ein Geschäftspartner, der Islamische Staat, militärisch und wirtschaftlich „pleite“ gegangen ist.

Türkischer Einmarsch stockt

Deutschland könnte wieder Hermes-Bürgschaften oder andere Kreditmöglichkeiten eröffnen. Auch könnte die EZB wieder Geld fließen lassen wie zu Zeiten der Verhandlungen über eine Mitgliedschaft mit der EU. Das wäre der leichtere Part, und man kann davon ausgehen, daß Berlin hier Zusagen gemacht hat, schließlich profitiert die deutsche Wirtschaft auch vom Handel mit der Türkei.

Aber es geht Erdogan vor allem um das militärische Abenteuer in Afrin. Es sollte ein Spaziergang werden von der türkischen Grenze bis zur knapp 30 Kilometer entfernten Hauptstadt der syrischen Nordprovinz. Aber der Einmarsch stockte schon nach wenigen hundert Metern und ist seither nicht viel weiter gekommen. Die türkische Armee hat bisher an die 150 Soldaten und viel schweres Gerät verloren, bei den islamistischen Söldnern (Ableger der Al Quaida und anderer Rebellengruppen), die sich mit den türkischen Truppen im Rücken leichte Beute erhofften, belaufen sich die Verluste auf mehr als 300 Mann.

Der Gegner, die Kurden,  beklagt an die hundert gefallene Kämpfer, darunter auch zwei Dutzend Frauen. Wie todesmutig und hochmotiviert die Kurden sind, zeigt das Beispiel der jungen Avesta Khabour. Sie klammerte sich am 28. Januar bei Jandairis unter einen türkischen Panzer, der in ein Dorf einrücken wollte, und sprengte sich mit Panzer und Besatzung in die Luft. Von den Toten der türkischen Armee sind über die Hälfte Panzerbesatzungen, etwa 30 Panzer vom (deutschen) Typ Leopard wurden zerstört.

Bessere Armierung für die Panzer

Die Kurden haben panzerbrechende Waffen (von den Amerikanern), sind gut ausgebildet und hochmotiviert. Im nächtlichen Kampf Mann gegen Mann schlagen sie die Angreifer trotz der erdrückenden numerischen Überlegenheit immer wieder zurück. Erdogans Armee braucht dringend eine bessere Armierung der Panzer. Hier hat Gabriel unfreiwillig ein Detail des Deals angedeutet, als er im ZDF von der „Armierung der Panzer“ für den Nato-Partner Türkei sprach.

Ein weiteres Detail gab die Kanzlerin zu erkennen, als sie zuvor in der Pressekonferenz mit dem türkischen Premier verkündete, man stehe an der Seite Ankaras im Kampf gegen den Terrorismus. Sie hätte auch ergänzen können: „Gegen den Terrorismus des IS“. Mit anderen Worten: Auch die Kurden in Afrin gehören zu den Terroristen, so versteht es jedenfalls Ankara. So verstehen es auch die Mullahs in Teheran und die kurdenfeindliche Regierung der Schiiten in Bagdad. Den Amerikanern und Kurden kann sie sagen, sie habe nur den IS gemeint. Ist diese Doppelzüngigkeit das, was Gabriel unter „Diplomatie“ versteht?

Hinzu kommt: Der Welt erzählt Erdogan, in Afrin kämpfe man auch gegen den IS. Aber in dieser Provinz hat der IS nie Fuß fassen können, und viele Syrer sind gerade vor dem IS nach Afrin geflohen. Die mehr als tausend toten Zivilisten in der Provinz sind bei den Flächenbombardements der türkischen Luftwaffe ums Leben gekommen.

Erdogan duldet nur Propagandatrommler

Erdogan kommt in Afrin nicht weiter und muß sogar fürchten, daß die Kurden auch Stinger-Raketen haben, mit denen sie seine Kampfbomber vom Himmel holen können. Über all das liest, sieht oder hört man in den deutschen öffentlich-rechtlichen Medien nichts. Man bezieht seine Informationen meist aus türkischen Quellen. Da haben Gabriel, Merkel und Co. es leicht, „Diplomatisches“ aufzutischen.

Die verbalen Bedingungen des Deals sind also erfüllt, und man kann davon ausgehen, daß auch die stärkere Armierung schon in Kisten gepackt wird. Und man kann auch sicher sein, daß darüber keine Berichte nach Europa dringen werden. Denn Journalisten kommen nicht in die umkämpfte Provinz, und selbst in der Türkei leben Journalisten gefährlich. Erdogan duldet nur Propagandatrommler. In Gabriel hat er einen Ersatztrommler gefunden.

Es ist eigentlich absurd: Die Bundeswehr ist nicht mehr einsatzbereit, aber Deutschland rüstet einen Despoten auf, der dank dieser Hilfe gegen Verbündete Deutschlands vorgehen wird, denn die kurdischen Peshmerga der YPG werden von den Amerikanern unterstützt und beliefert, weshalb Erdogan auch den Amerikanern mit einer „osmanischen Ohrfeige“ droht.

Yücel selbst wollte keinen schmutzigen Deal

Ob die Türken mit dem besser armierten Leo 2 jedoch weiter kommen, ist eine offene Frage. Bei solchen Eroberungsfeldzügen ist der entscheidende Faktor nicht die Armierung, sondern die Motivation, in Afrin kann man auch sagen, der Mut der Verzweifelten. Es ist eigentlich dieser Mut, der Erdogan dazu gebracht hat, seine prominenteste Geisel anzubieten. Den Kurden hat Yücel seine Freilassung zu verdanken, nicht der Bundesregierung, die die Kurden ohne mit der Wimper zu zucken fallenläßt.

Vielleicht hat Erdogan auch damit gedroht, Unruhe auf deutschen Straßen zu provozieren. Ihm ist jede Erpressung zuzutrauen. Die Freilassung des prominenten Kollegen Yücel verschafft dem Berliner Drama immerhin eine Verschnaufpause. Und dem amtierenden Außenminister Gabriel etwas Hoffnung, sein Amt doch noch zu behalten. Gabriel ist populär, wie fast alle Außenminister. Aber ob er und die Kanzlerin die Interessen Deutschlands wirklich im Blick hatten, ist fraglich.

Natürlich kann man sich über die Freilassung freuen. Yücel selbst wollte keinen schmutzigen Deal. Einen Grund zur Dankbarkeit gegenüber Erdogan gibt es nicht. Von Rechtsstaatlichkeit kann keine Rede sein. Am selben Tag, als Yücel freigelassen wurde, wurden sechs Journalisten zu lebenslanger Haft unter verschärften Bedingungen verurteilt. Mehr als hundert weitere Journalisten sitzen in den Gefängnissen, doppelt so viele wie in China.

Der Deal mit Erdogan gibt eher Anlaß zur Sorge. Ankara bringt Berlin in Stellung gegen die Kurden und die USA. Darüber freut sich vor allem einer, der bei der Münchener Sicherheitskonferenz geistig allgegenwärtig ist: Wladimir Putin. Er hat jetzt eine Feuerpause in Afrin aushandeln lassen. Seit gestern schweigen die Waffen. Es braucht Zeit, bis die Leo-2-Panzer besser gerüstet sind.

Sigmar Gabriel mit dem türkischen Außenminister Mevlut Cavusoglu auf der Sicherheitskonferenz in München Foto: picture alliance/ AA
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