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Vorratsdatenspeicherung: Das Schwert ist stumpf

Vorratsdatenspeicherung: Das Schwert ist stumpf

Vorratsdatenspeicherung: Das Schwert ist stumpf

Netzwerkkabel
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Netzwerkkabel: Die Vorratsdatenspeicherung ist sinnlos Foto: picture alliance/APA/picturedesk.com
Vorratsdatenspeicherung
 

Das Schwert ist stumpf

SPD und Union haben sich auf eine gemeinsame Linie zur Vorratsdatenspeicherung geeinigt. Es kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß hier ein schwerer Eingriff in die Grundrechte stattfinden soll, der keinen wesentlichen Beitrag zum Schutz vor Kriminalität leisten wird. Ein Kommentar von Paul Rosen.
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Wie ein Horrorszenario erscheint vielen Bundesbürgern der jüngste Vorstoß der Berliner Großen Koalition. Telefonverbindungsdaten sollen ohne jeden Anlaß von allen Bundesbürgern vom kleinen Kind, das die Mama anruft, bis zu Opas Telefonat mit seinem Enkelkind registriert und für zehn Wochen von den Telefongesellschaften für eventuellen Bedarf von Strafverfolgungsbehörden vorgehalten werden.

Während sich Befürworter eine verbesserte Kriminalitätsbekämpfung versprechen, fürchten Kritiker einen Überwachungsstaat. Die ganze Bevölkerung werde „ohne einen Anlaß in eine Speicherung hineingezogen“, warnte der Uralt-Liberale Gerhart Baum, der vor das Verfassungsgericht ziehen will. Und die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt warf der SPD vor, Bürgerrechte „in atemberaubendem Tempo“ abzuräumen.

SPD machte gegen die Regelung mobil

Die Maßnahme ist allerdings in erster Linie politisch zu beurteilen. Die Union braucht endlich einen sachpolitischen Erfolg in der Großen Koalition. Alle bisherigen Maßnahmen – vom Mindestlohn bis zur Frauenquote – gingen mit der SPD nach Hause, auch wenn dies sich für die Sozialdemokraten auf Bundesebene bisher nicht in besseren Umfragewerten ausgezahlt hat. Bei der Vorratsdatenspeicherung macht die SPD das, was sie sonst gerne der CSU vorzuwerfen pflegt: Sie wechselt ganz schnell die Position.

Derselbe Justizminister Heiko Maas (SPD), der jetzt zusammen mit Innenminister Thomas de Maizière (CDU) die Eckpunkte für die Vorratsdatenspeicherung präsentierte, hatte noch im Dezember letzten Jahres erklärt, er lehne die anlaßlose Vorratsdatenspeicherung „ganz entschieden ab“. Sie verstoße „gegen das Recht auf Privatheit und gegen den Datenschutz“.

Enge verfassungsrechtliche Grenzen

So wie SPD-Chef Sigmar Gabriel mit seinem schnellen Vorstoß, es werde bald einen Gesetzentwurf geben, den zuständigen Minister Maas in den Senkel stellte, könnte dieser gleich zurücktreten. In der sensiblen Frage des Schutzes der Daten und der Intimsphäre des Menschen brachte eine Vorgängerin von Maas größere Opfer: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) trat zurück, nachdem eine Mitgliederbefragung der FDP eine Mehrheit für den von der Ministerin abgelehnten „Großen Lauschangriff“ ergeben hatte.

So viel Haltung ist von Maas nicht zu erwarten. Er wird statt dessen den Gesetzentwurf auf Wunsch der Unionsfraktion fertigen, die den Wählern die Vorratsdatenspeicherung als effektive Waffe im Kampf gegen die zunehmende Kriminalität präsentieren will.

Allerdings kann es passieren, daß die Waffe recht stumpf zum Einsatz kommt. Es gibt enge verfassungsrechtliche Grenzen. Schon das Bundesverfassungsgericht hatte festgestellt, daß die Speicherung von Daten „nur ausnahmsweise zulässig“ ist. Der Europäische Gerichtshof hatte erst vor kurzem geurteilt, daß Daten von Personen nicht gespeichert werden dürfen, bei denen „keinerlei Anhaltspunkt dafür besteht, daß ihr Verhalten in einem auch nur mittelbaren Zusammenhang mit schweren Straftaten stehen könnte“.

Schwerer Eingriff in Grundrechte

Natürlich kennt das Bundesjustizministerium die hohen Hürden der Rechtsprechung und will daran nicht scheitern. Maas trotzte de Maizière deshalb einige Zugeständnisse ab: So sollen die Daten nicht ein halbes Jahr, sondern „nur“ zehn Wochen gespeichert werden. Der E-Mail-Verkehr wird überhaupt nicht erfaßt, auch nicht die aufgerufenen Internetseiten. Auf Druck der CDU wurde durchgesetzt, daß die Handy-Standortdaten mindestens vier Wochen abrufbar bleiben müssen. Damit weiß man nicht nur, wann von dem Handy welche Nummer angerufen wurde, sondern auch, wo sich der Anrufer gerade aufhielt. Daten von Seelsorgern, Anwälten, Ärzten und Abgeordneten sollen tabu sein.

Unabhängig davon, wie die Regelung schließlich im Detail aussieht, kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, daß hier zwar ein schwerer Eingriff in die Grundrechte stattfinden soll, der aber keinen wesentlichen Beitrag zum Schutz vor Kriminalität leisten wird.

Terroristen haben längst andere Kommunikationsmethoden

Es reicht ein Blick ins Nachbarland Frankreich, um die Wirkungslosigkeit der Maßnahme zu erkennen. Dort gibt es die Vorratsdatenspeicherung seit 2006 – und in einer wesentlich umfangreicheren Variante als sie in Deutschland vorgesehen ist. Die Kriminalität in Frankreich ist nicht meßbar zurückgegangen, schwere Anschläge wie im Januar in Paris mit 17 Toten konnten ebensowenig verhindert werden wie der Cyberangriff auf den Fernsehsender TV5 Monde.

Was die kriminologische Praxis angeht, müssen sich die Politiker der Großen Koalition fragen lassen, ob sie in ihren Telekommunikationskenntnissen schon über das Wählscheibenzeitalter hinausgekommen sind. Gerade beim mobilen Telefonieren ist es kein Problem, eine freigeschaltete Prepaid-Karte für das Handy auf Straßen und Märkten zu erwerben. Damit ist dann völlig anonymes Telefonieren möglich. Der Staat kann dann registrieren lassen, was er will: Die zur Telefonnummer gehörende Person ist nicht feststellbar.

Offenbar ist der Koalition auch entgangen, daß genug Leute mit ausländischen Telefonkarten unterwegs sind. Da läuft die Datenspeicherung ins Leere. Und von Diensten wie Skype und WhatsApp, über die ein Großteil der Kommunikation heute läuft, scheinen diese Politiker überhaupt noch nichts gehört zu haben. Mit der Vorratsdatenspeicherung wird eine Blendgranate gezündet, sonst nichts.

JF 18/15

Netzwerkkabel: Die Vorratsdatenspeicherung ist sinnlos Foto: picture alliance/APA/picturedesk.com
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